Im Amtsdeutsch (Oder sollte man besser »Kanzleideutsch« sagen? Das Phänomen des Substantivierens von Verben stammt schließlich aus der Juristensprache.) treten immer mehr falsche Substantive auf. Falsch deshalb, weil es sich von der Aussage her um Verben handelt, die aber - meist durch Anhängen der Endung -ung - in Substantive umgeformt werden. Verschlimmert wird das dann noch, indem mehrere Substantive als Genitivkette aneinandergehängt werden, anstatt die zugrunde liegenden Verben zu verwenden.
Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit |
besser: |
Maßnahmen, die gewährleisten, dass der Grundsatz der Chancengleichheit angewendet wird |
noch besser, weil auch »Maßnahmen« meist nur als Füllwort auftritt: |
gewährleisten, dass der Grundsatz der Chancengleichheit angewendet wird |
und noch besser: |
gewährleisten, dass die Chancengleichheit gewahrt wird |
80 % der Substantive waren entbehrlich!
»-ung-Wörter« zeigen in sich bereits, dass sie keine gewachsenen Wörter, sondern Konstrukte sind.
Ein guter Indikator für Substantivismus ist das Wort »erfolgt«. In seiner Nähe ist fast immer ein falsches Substantiv zu finden. Schreiben Sie also z. B. »genehmigen« statt »erfolgt Genehmigung« oder »zustimmen« statt »erfolgt Zustimmung«, schon ist dieses Problem gelöst.
Allerdings verbreiten sich ‑ung-Wörter rasant, wie die Statistik beweist: Im 19. Jhdt. war jedes zehnte Substantiv im deutschen Wortschatz ein ‑ung-Abstraktum, in der ersten Hälfte des 20. Jhdt. war es bereits jedes fünfte, mittlerweile ist es jedes vierte, Tendenz steigend! Überhaupt hat sich die Zahl der Substantive hat in den letzten 200 Jahren von rd. 21% auf rd. 30% erhöht.
Einige Beispiele: | -ung-Wörter | |||||
Verzicht leisten | verzichten | die Lieferung erfolgt | liefern | |||
einen Entschluss fassen | beschließen | eine Mitteilung zukommen lassen | mitteilen | |||
unter Beweis stellen | beweisen | zur Verteilung gelangen lassen | verteilen | |||
Interesse bekunden | interessieren | der Meinung sein | meinen, annehmen | |||
mit Ausnahme von | außer | in Rechnung stellen | berechnen | |||
aus diesem Grunde | deshalb | zur Abrechnung bringen | abrechnen | |||
auf Grund von | wegen | die Kostenschätzung beläuft sich auf | die voraussichtlichen Kosten betragen | |||
Beschluss gefasst | beschlossen | |||||
Verzicht leisten | verzichten | |||||
nach Fertigstellung von ... | nachdem ... fertiggestellt ist |
Zu diesem Symptom ein konkretes Beispiel aus einem Bescheid einer Ordnungsbehörde:
Das Einschreiten ist nur dann begründet, wenn gegen Normen, die auch dem Individualschutz zu dienen bestimmt sind, in einer Art und Weise verstoßen wird, dass der Behörde nach pflichtgemäßer Ermessensabwägung keine andere Entscheidung mehr verbleibt, als die zum Eingreifen. |
Unpersönliche Umschreibungen, entbehrliche Floskeln und Verschachtelungen wirken hier perfekt zusammen. Die Aussage dieses Satzes ließe sich extrem verkürzen zu:
Ich kann nur einschreiten, wenn gar nichts anderes mehr geht. |
Da das aber vielleicht zu umgangssprachlich klingt, wäre vielleicht folgender Mittelweg denkbar:
Schritt 1: auf unnötige Floskeln und Wiederholungen verzichten (durch Streichung im Originalzitat verdeutlicht):
Das Einschreiten ist nur dann begründet, wenn gegen Normen, die auch dem Individualschutz zu dienen bestimmt sind, in einer Art und Weise so verstoßen wird, dass der Behörde nach pflichtgemäßer Ermessensabwägung keine andere Entscheidung mehr verbleibt, als die zum Eingreifen. |
Schritt 2: Substantive reduzieren und Bezüge personifizieren
Ich kann nur dann einschreiten, wenn Ihr Nachbar gegen schützende Normen verstößt und nach pflichtgemäßem Ermessen keine andere Möglichkeit besteht, diesem Verstoß zu begegnen. |