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Lange und verschachtelte Sätze

Veröffentlicht am 13.06.2014

Eine der stärksten Auffälligkeiten in Schriftstücken von Behörden sind (zu) lange Sätze. Es wird versucht, möglichst viel in einen Satz hinein zu legen, statt ihn in mehrere Sätze aufzuteilen. Es gibt auch Fälle, in denen eine Aufteilung nicht möglich ist, weil mehrere Kausalitäten innerhalb eines Satzes zu einer Folgerung führen. Dann muss aber darauf geachtet werden, eine verständliche, logische Struktur aus Nebensätzen zu konstruieren. Dabei kann selbstverständlich der Text insgesamt länger werden, doch für das Verstehen sind die Satzlänge und die Komplexität der verschachtelten Nebensätze bedeutend.

Ludwig Reimers, Verfasser des Buches „Stilfibel“, ist zu der Erkenntnis gelangt, dass

  • Sätze mit bis zu 13 Wörtern sehr leicht verständlich und
  • Sätze mit 14 bis 18 Wörtern leicht verständlich sind.

Mit zunehmender Länge werden die Sätze immer unverständlicher. Die Gesetzes- und Amtssprache allerdings verwendet gern überlange Sätze. Zwar hat sich seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die durchschnittliche Satzlänge deutscher Gesetze von fast 90 Wörtern pro Satz auf ca. 30 verringert, doch steigt dieser Wert in den letzten Jahrzehnten wieder an.

Ein Vergleich mit deutschen Texten anderer Herkunft zeigt, dass Gesetze mit Abstand die längsten Sätze haben. Aktuelle Erzählprosa kommt auf durchschnittlich 22 Wörter pro Satz, wissenschaftliche Texte liegen knapp darunter. Eine Stichprobe aus unterschiedlichen Zeitungen zeigte dort eine durchschnittliche Satzlänge von 16,6 Wörtern, selbst „anspruchsvolle“ Zeitungen kommen nicht über 20 Wörter.

In langen Sätzen kommt noch als weiteres Leseerschwernis hinzu, dass zusammengesetzte Verben oder Substantiv und zugehöriges Verb durch Zusatzinformationen und Bedingungen auseinander gerissen werden. Diese in der deutschen Sprache an sich üblichen und unschädlichen Methoden geraten zum Fiasko, wenn zwischen beiden Teilen mehrere Textzeilen stehen und dem Leser beim Erreichen der zweiten Hälfte der Wortfolge der Satzanfang gar nicht mehr präsent ist. (Mark Twain hat das in seinem Essay über die schreckliche deutsche Sprache mit »... und dann, endlich, folgt das Verb!« sehr schön persifliert.) Ein deutliches Beispiel bietet Artikel 95 Abs. 5 des Vertrags von Amsterdam, in dem ich die zusammen gehörenden Begriffe farblich markiert habe:

»Unbeschadet des Absatzes 4 teilt ein Mitgliedstaat, der es nach dem Erlaß einer Harmonisierungsmaßnahme durch den Rat oder die Kommission für erforderlich hält, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt aufgrund eines spezifischen Problems für diesen Mitgliedstaat, einzuführen, die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission mit

Dieser Satz umfasst 59 Wörter; zwischen den Bestandteilen des auseinander gerissenen Verbs »mitteilen« am Beginn und am Ende des Satzes stehen 53 Wörter. Auch der Abstand zwischen dem Objekt »Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt« und dem zugehörigen Verb »einzuführen« ist durch die eingeschobene Begründung zu lang.

Die Bestimmung ließe sich auch so formulieren:

»Hält es ein Mitgliedsstaat nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme durch den Rat oder die Kommission für erforderlich, einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt einzuführen, die auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sind und ein spezifisches Problem dieses Staates lösen, so teilt er die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission mit. Absatz 4 bleibt hiervon unberührt.«

Der erste Satz hat zwar immer noch 49 Wörter, weil sich die Bedingungen nicht auf mehrere Sätze verteilen ließen, doch die Halbsätze sind nicht mehr verschachtelt und der logische Aufbau erschließt den Inhalt besser. Zum Vergleich sind auch hier die zusammen gehörenden Begriffe markiert. Zwar ist die vorher geschlossen stehende Formel „für erforderlich hält“ im Verbesserungsvorschlag getrennt, dennoch ist der Satz verständlicher, weil vor dem Aufbrechen einer weiteren Wortverbindung die letzte wieder geschlossen wird; außerdem sind die Bestandteile der anderen beiden Formeln näher zusammen gerückt.

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