Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

oerttel.net

 

 

 

 

 

Zitat zum Kundenverkehr

Irritationen durch Fachsprache

Veröffentlicht am 11.08.2014

Die meisten Schwierigkeiten bereitet die Kommunikation, wenn es denselben Begriff in zwei unterschiedlichen Wortschätzen (Soziolekten) mit unterschiedlicher Bedeutung gibt.

Für die Juristensprache immer wieder gern zitiert wird »grundsätzlich«, das in der allgemeinen Sprache eine viel festere Bedeutung hat als in der Amtssprache, die darin ein »aber« impliziert.

Hier eine Auswahl besonders problematischer Homonyme und irreführender Fachbegriffe mit erheblicher Deutungsdivergenz zwischen Ämtern/Juristen einerseits und dem realen Leben andererseits:

Im Namen des Volkes

Dieser Satz steht über jedem Urteil, aber angesichts des Inhalts mancher Urteile und des damit bei der Mehrheit der Bevölkerung ausgelösten Unverständnisses ist diese Einleitung zur völlig inhaltlosen Phrase verkommen.

dem Grunde nach

Die in der Juristensprache weit verbreitete Floskel enthält einen Eriwan-Effekt: »Im Prinzip ja, aber ...«. Es kann zutreffen, ist aber von weiteren Einflussfaktoren abhängig, weshalb es dann manchmal doch nicht zutrifft.

Zugangsvereitelung

Was klingt wie die Arbeitsplatzbeschreibung eines Türstehers, ist schlichtweg die Verweigerung der Annahme eines Briefes. Warum kann es dann nicht Annahmeverweigerung heißen?

Kundenverkehr

Angesichts voller Warteräume ist sicher ruhender Verkehr gemeint. Warum kann man nicht einfach Sprechstunde, Sprechzeit, Öffnungszeit sagen?

Interessant auch: Früher nannte man diese Zeiten Publikumsverkehr. Was wurde dem Publikum denn da wohl vorgeführt? Ganz sicher etwas von Kafka!

Beförderungserschleichung

Nein, hier schleimt niemand des beruflichen Vorkommens wegen beim Staatssekretär, sondern jemand »fährt schwarz«. Warum um alles in der Welt kann das eingeführte Wort »Schwarzfahren« nicht auch amtlich benutzt werden? Zu boreal, oder was? Es trifft den Sachverhalt ebenso schlecht wie das amtliche Substitut, aber alle wissen es korrekt zu deuten. 

»Fahren ohne Fahrausweis« wäre auch nicht schlecht, aber Juristen vermutlich zu unpräzise, weil ja zwischen entwertetem und nicht entwertetem Fahrausweis zu unterscheiden ist, wobei paradoxerweise das Fahren mit entwertetem, also wertlosem Fahrschein korrekt ist, aber ein nicht entwerteter Fahrschein nicht als gültiger Fahrausweis anerkannt wird. Manchmal stellt sich die Fachsprache halt selbst ein Bein.

bewegliche und
unbewegliche Sachen

Ein weiteres juristisches Paradoxon ist die Definition, dass frei lebendes Wild genuiner Bestandteil der Immobilie Wald ist und deshalb als unbewegliche Sache eingestuft wird; das tote (getötete) Wild dagegen ist nicht mehr zur Immobile gehörig und deshalb eine bewegliche Sache.

Faszinierend (im Spock'schen Sinne) und absolut regelwidrig muss es Juristen erscheinen, wenn die unbeweglichen Sachen ohne Zutun Dritter von einer Immobilie in eine andere wechseln, weil das nun mal in ihrer Natur liegt, die beweglichen Sachen dagegen unverständlicherweise überhaupt kein Verlangen (mehr) verspüren, sich zu bewegen.

niedere Motive

Oft liest man, dass Täter eine Tat aus niederen Motiven begangen haben, doch erhält dieses Prädikat so gut wie nie ein Verbrechen, das aus Geldgier begangen wurde, obwohl es doch kein niedereres Motiv als Geldgier gibt. Wer soll da noch folgen können?

Vollzug

Haben Sie sich auch schon gefragt, was in einer Justizvollzugsanstalt eigentlich vollzogen wird? Früher, als diese Einrichtungen noch Strafvollzugsanstalten oder schlicht Strafanstalten hießen, war das noch klar, aber dann zogen die Gutmenschen politisch korrekt darüber her. Ganz früher, da hieß das noch Gefängnis oder Zuchthaus und jeder wusste Bescheid. Diese Termini hätte die Justiz gern beibehalten können, denn sie entsprechen nach wie vor der Allgemeinsprache.

Aber es gibt noch einen speziellen, internen Vollzug, den ich ihnen angesichts der Absurdität dieser Vorschrift nicht vorenthalten möchte.

mutmaßlich

Die im eigentlichen Sinne auf Vermutungen zurückgehende Interpretation eines Sachverhalts hat im juristischen Code eine ganz eigenartige Bedeutung: Solange ein Gericht in einem Strafverfahren keine Entscheidung getroffen hat, ist jede Feststellung nur mutmaßlich, selbst wenn ein Täter auf frischer Tat ergriffen wurde. Das ist nicht mutmaßlich, sondern anmaßendes Imponiergehabe einer Berufsgruppe.

Ladung

Gerichte laden gern, wenn sie jemand ums Erscheinen »vor Gericht« bitten. »Einladung« wäre wohl zu unverbindlich. Dabei gibt es hierfür den sowahl amtlichen als auch gemeinverständlichen Begriff der »Vorladung«. Warum also steht immer »Ladung« über dem Schreiben?

Sie können einen Akku laden, aber keinen Menschen. Sie erreichen nur, dass er dann »geladen« erscheint.

Cookie-Regelung

Diese Website verwendet Cookies, zum Speichern von Informationen auf Ihrem Computer.

Stimmen Sie dem zu?