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Zitat HirschhausenZitat Hirschhausen

Wer braucht Fachsprachen?

Veröffentlicht am 12.08.2014

Fachsprache 

  • ist nur zur internen Kommunikation der Angehörigen einer Gruppe mit gemeinsamem Soziolekt geeignet,
  • verhindert die Kommunikation mit Menschen, die dieser Sprache nicht mächtig sind.

Behörden, Gerichte und politische Institutionen müssen mit allen Bürgern kommunizieren und dürfen sich dazu keiner Fachsprache bedienen, wenn sie verstanden werden wollen. Oft entsteht der Eindruck, sie wollten das nicht!

Woher stammen Fachsprachen überhaupt?

Zum Machterhalt war es für die Zünfte und Gilden erforderlich, sich gegen Konkurrenz zu schützen. Dies geschah unter anderem durch die Schaffung spezieller Be­griffe für jene Dinge, mit denen sich die Angehörigen der Zünfte und Gilden beschäftigten. Die Verwendung von Fachbegriffen besitzt den Vorteil, dass man sich leicht und ohne viel Beschreibung über bestimmte Sachverhalte verständigen kann. Die Gildesprachen dienten vornehmlich jedoch dem Zweck, Fremde (Konkurrenten) von der internen Kommunikation auszuschließen. Die Ausdrücke von Fachsprachen lassen sich in zwei Kategorien einteilen:

  • Ÿ  neu geschaffene Wörter oder
  • Ÿ  bekannte Wörter, denen neue Deutungen zugeordnet wurden.

Beide Tatbestände sorgten für Verwirrung und Unverständnis bei Außenstehenden, die entweder überhaupt nichts oder etwas falsches verstanden.

Gelegentlich wäre die Kenntnis fast erloschener Gildesprachen hilfreich beim Vermeiden von ungewollter Ironie: 
Herr Riester kann nichts für seinen Namen, doch dass die Presse seine Rentenreform mit dem Begriff Riester-Rente belegte, ist Realsatire. „Riester“ bedeutet nämlich in der Fachsprache der Schuster und Sattler „Flicken“.

Im 15. Jahrhundert begann die Macht der Zünfte und Gilden zu schwinden. Die Hauptursache waren neue Herstellungs- und Verteilungssysteme, die nicht zu den überkommenen, verkrusteten Traditionen und Strukturen passten. So wurden sie allmählich aus dem Wirtschaftsleben verdrängt, ihre Sprachen jedoch überlebten und mit ihnen auch der Hang, Fachsprachen zu entwickeln.

Moderne Formen von Gildesprachen sind zum Beispiel die Begriffe aus aktuellen Techniken oder aus der Wirtschaft. Auch hier schaffen sich »elitäre Cliquen« ihren eigenen Wortschatz, der Außenstehenden vielfach verschlossen und unverständlich bleibt. Ist die Amtssprache also eine Gildesprache? Eigentlich bestand für die Ämter nie eine Notwendigkeit, sich abzugrenzen oder vor Konkurrenz zu schützen, denn es gab nie eine Konkurrenz. Die Verwendung von Fachbegriffen zur verbesserten internen Kommunikation wäre zwar ein Argument für die Schaffung einer eigenen Gildesprache, doch es zieht nicht, denn die externe Kommunikation mit nicht dem eigenen Stand angehörenden Personen ist für eine Behörde mindestens ebenso wichtig wie die interne.

Illustration Fachsprache

Bei der Sprache der Drucker und Setzer ist ein interessantes Phänomen zu beobachten:

Die Sprache hat den Beruf überlebt, denn durch das Desktop Publishing wurde der Beruf des Setzers überflüssig, jedoch gewinnen die Fachausdrücke wieder an Bedeutung und ver­breiten sich sehr stark. Eine Bindung an eine bestimmte Berufsgruppe besteht nicht mehr, weil es die Berufsgruppe quasi nicht mehr gibt. Ironie: Gerade die für das Aussterben des Berufs verantwortliche moderne Technik sorgt für das Weiterleben der spezifischen Sprache.

Illustration Fachsprache

Die Juristensprache ist ebenfalls eine Fachsprache, aber in einem Bereich, der von der Aufgabenstellung gar keine Fachsprache erfordert, im Gegenteil: Die Zielgruppe ist derart inhomogen, dass eine möglichst breit verständliche Sprache erforderlich ist.

Die Wörter und ihre wahre Bedeutung divergieren derart, dass deutlich wird: »Wir sind an keinerlei Verständigung mit den Klienten interessiert.«

Sprachwissenschaftler sprechen den Juristen (und damit auch den Behörden) das Erfordernis einer Fachsprache ab, denn sie sind erstens nicht konkurrenzbedroht und zweitens von der Aufgabenstellung her vollständig zur Kommunikation mit Fachfremden verpflichtet. Auch der Vergleich zur ärztlichen Fachsprache, der gern als Argument herangezogen wird, zieht nicht. Für Ärzte ist die Fachsprache lingua franca, um sich über Sprachgrenzen hinweg verständigen zu können. Der menschliche Körper ist eben überall gleich. Rechtsverhältnisse sind in jedem Land anders geregelt, und ob Begriffe wie »Zugangsvereitelung« der grenzüberschreitenden Verständigung dienen, darf wohl ins Reich der Fabel verwiesen werden.

Es gibt ein besonders schlimmes Beispiel richterlicher Verbaldiarrhö, mit dem sich aber das Gericht im Analogschluss selbst ein Armutszeugnis ausstellt. Ich habe es es selbstverständlich einschlägig kommentiert und hier eingestellt.

Illustration Fachsprache Ganz schlimm wird es im politischen Raum. Hier dient Sprache ganz klar der Verschleierung.

 

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