Undeutliche Formulierung
Überdenken Sie bei Fragestellungen, ob Sie auch tatsächlich konkret genug darstellen, was Sie wissen möchten. Sehen Sie bei Multiple-Choice-Fragen auch freie Antwortpositionen vor, damit auch jene Aspekte erfasst werden können, die Sie beim Entwerfen des Fragebogens übersehen haben.
In welcher Form wirkt sich das Arbeitstempo der Kolleginnen/Kollegen belastend aus? Sehr wahrscheinlich ist die Erwartungshaltung der Fragesteller, dass ein zu schnelles Arbeitstempo zu Stress beim Befragten führt. Aber auch ein zu langsames Arbeitstempo zuarbeitender Kollegen ist belastend, weil der weiter verarbeitende Kollege auf Grund des Termindrucks Stress ausgesetzt ist. Auch wer in dieser Situation steht, wird hier antworten, dass ihn diese Abhängigkeit belastet. Bei der Auswertung kommen dabei aber zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte durcheinander.
Ein ähnlicher Fall findet sich im selben Fragebogen:
Es sind noch weitere Belastungsfaktoren im Zusammenhang mit der Arbeitszeit dort aufgelistet, interessant ist hier nur der Aspekt »Teilzeit-Arbeitszeit«. Auch hier ist die Intention der Fragesteller durchaus erkennbar, es geht um Belastungen durch eigene Teilzeitarbeit. Es gibt aber auch nicht wenige Beschäftigte, die durch Teilzeitarbeit Anderer belastet sind, weil in einem Arbeitsbereich auftretende unterschiedliche Teilzeitregelungen zu Kommunikationsstörungen führen können. Da im Fragebogen eine Unterscheidung nach eigener und fremder Teilzeitarbeit nicht gegeben ist, müssen sich beide Gruppen in derselben Kategorie äußern, obwohl es sich um völlig unterschiedliche Sachverhalte handelt.
Die Antwortenden haben auch gar keine Möglichkeit, auf ihre spezielle Sicht hin zu weisen, weil der Fragebogen keine Möglichkeiten zur frei formulierten Ergänzung enthält.
Fazit: Undeutlich formulierte Fragen führen zu falschen Umfrageergebnissen.
Besonders schlimm wird es, wenn auf Grund sprachlicher Unkorrektheiten Rechtsfolgen eintreten, wie in diesem Fall aus einer Prüfungsfrage des Bayerischen Zentralabiturs Physik 2002:
a) Es wäre denkbar, dass die beiden Protonen nacheinander abgegeben werden. …
b) Es besteht auch die ‚exotische’ Möglichkeit, dass beide Protonen das angeregte Atom gleichzeitig, aber in verschiedene Richtungen verlassen.
Entscheiden Sie, bei welchen der Abbildungen I‑IV es sich nicht um Skizzen von realen Nebelkammeraufnahmen dieses Zerfalls handeln kann.
Kritisch sind die Worte »dieses Zerfalls«. Worauf bezieht sich »dieses«, auf Fall a) oder Fall b) oder beide?
In beiden Fällen tritt das Wort »Zerfall« nicht auf, beide beschreiben unterschiedliche Varianten eines Zerfallsprozesses. Plausibel wäre also die Lösung, dass beide Varianten gemeint sind.
Richtig im Sinne der Aufgabenstellung ist jedoch b). Der formulierende Lehrer ist davon ausgegangen, dass »dieses« sich auf die letzte beschriebene, ausdrücklich als »exotisch« bezeichnete (also unwahrscheinlichere) Variante rückbezieht.
Ein heikler Fall! Alle Probanden, die sich der näherliegenden Lösung anschlossen, mussten Punktverlust hinnehmen. Und das alles nur, weil eine Kommission betriebsblind den wahren Sinn einer Formulierung nicht erkannt hatte.
Weiter muss an der Aufgabenstellung bemängelt werden, dass sie »um die Ecke fragt«, denn es soll eine negative Auswahl getroffen werden. Solche Orientierung ist immer unglücklich, leicht wird das »nicht« überlesen. Die Formulierung von Prüfungsaufgaben bedarf besonderer Sorgfalt, weil die Mehrzahl der Menschen in Prüfungssituationen unter zusätzlichem Stress leidet. Zweifelsfrei ließe sich die Prüfungsfrage so formulieren:
Entscheiden Sie, bei welchen der Abbildungen I‑IV es sich um Skizzen von realen Nebelkammeraufnahmen des zu b) beschriebenen Zerfalls handeln kann.
Textbausteinverfahren sind zwar ein Phänomen der fortgeschrittenen Technik, doch ist der Verursacher von Bausteinproblemen nicht auf der Entwicklerseite zu suchen. Vielmehr nutzen manche Dienstkräfte ihre Texthandbücher exzessiv und bemühen sich, ganze Bescheide ausschließlich aus Bausteinen ohne Individualtext zu erstellen.
Gewiss, das ist das eigentliche Ziel von Textbausteinverfahren, doch sie sind nicht dazu gedacht, immer und in jedem Fall ausschließlich angewandt zu werden. Dort wo es angebracht ist, muss auch Freitext verwendet werden.
Ich weise darauf hin, dass, sofern Sie bisher einen Steuerfreibetrag in Anspruch genommen haben, dieser künftig entsprechend dem festgestellten GdB abgesenkt wird.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass künftig die Voraussetzung für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entfällt.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass künftig die Voraussetzungen für den Erhalt der kostenlosen Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Nahverkehr bzw. für die Gewährung einer Kfz-Steuerermäßigung nicht mehr erfüllt sind.
Die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Kfz-Steuervergünstigung ist nicht mehr gegeben.
Aus einem Bescheid des Versorgungsamtes Berlin
Vier Nebenwirkungen eines Bescheides, auf die hingewiesen wird, davon zwei mit identischer, eine mit ähnlich klingender Einleitungsklausel – damit wird der vorgespielte »Individualcharakter« eines aus Textbausteinen zusammengesetzten Briefes ad absurdum geführt. Es wäre sinnvoller gewesen, die Einzelsätze in einer strukturierten Aufzählung zusammenzufassen:
Ich weise darauf hin, dass künftig
Hier sind alle zu erwartenden Änderungen übersichtlich und ohne Wiederholungen zusammengefasst. Der Satz ist zwar lang, aber durch seine strukturierte Darstellung leicht verständlich.
Zugegeben, Freitext kann mehr Arbeitsaufwand kosten als das Aufrufrufen von Textbausteinen. Immerhin sind Textbausteinverfahren ja gerade zur Rationalisierung so genannter »Kiepenarbeit« geschaffen worden. Doch das muss nicht zu solch extremer Nutzung der Textvorgaben führen.
Empfänger erkennen plump zusammengebastelte Textbausteine!
In diesem Zusammenhang darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass solche auffälligen Textbausteinkombination auch auf eine schlecht durchdachte Struktur des Texthandbuchs schließen lassen. Bei »guten« Texthandbüchern werden solche Stolperstellen bereits in der Entwicklung bedacht. Nicht alles kann von vornherein berücksichtigt werden, aber wenn sich zur Laufzeit eines Verfahrens solche systematischen Mängel zeigen, ist es Führungsaufgabe, das Verfahren zu überprüfen und anzupassen. Die überwiegende Zahl der in der Berliner Verwaltung ange-wandten IT-Verfahren wird nach ihrer Einführung so gut wie keiner Evaluierung unterzogen!
Fazit: Nicht immer sind Textbausteine das probate Mittel.
Empfehlung: Prüfen Sie Ihre Textbausteine regelmäßig auch auf syntaktische Verbesserungsmöglichkeiten.