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Amtssprache: Ursachen

Obrigkeitsdenken

Der alte Preu­ßi­sche Amts­ge­danke ist immer noch in manchen Staats­die­nern verwur­zelt. An einer Entschei­dung des Amtes ist nicht zu rütteln; wer nach­fragt, ist ein Queru­lant. Und über­haupt, sowas verur­sacht ja Arbeit und ist deshalb möglichst abzuwimmeln.

Wen interessiert schon die Meinung des Betroffenen

Ein beson­ders ekla­tan­tes Beispiel der Infor­ma­ti­ons­ver­wei­ge­rung ist das Nicht­ein­ge­hen auf Argumente.

Ein Bürger hatte in der Anhö­rung vor Erlass des Bußgeld­be­schei­des Argu­mente vorge­bracht; darauf erhielt er den Bußgeld­be­scheid mit folgen­dem Hinweis:

Ihre Einwände haben wir bei unse­rer Entschei­dung geprüft. Sie konn­ten Sie jedoch nicht entlasten.

aus einem Bußgeld­be­scheid

Diese Formu­lie­rung erfüllt zwar die recht­li­chen Bedin­gun­gen, ist aber völlig unzu­rei­chend, wenn der Beschul­digte in seinen »Einwän­den« Fragen zum Sach­ver­halt vorge­bracht hat. Das ist nicht selten der Fall, denn die Anhö­run­gen, die dem Bußgeld­be­scheid voraus­ge­hen, sind häufig sehr kryp­tisch und allge­mein gehal­ten und geben zu Nach­fra­gen Anlass.

So auch in diesem Fall:

Sie park­ten verbo­te­ner­weise auf der Verkehrs­in­sel /​bepflanz­ten Fläche /​befes­tig­ten Fläche* außer­halb des Fahrbahnbereiches.

* befes­tigte Fläche Fahrbahnmitte

aus der voran­ge­gan­ge­nen Anhörung 

Schon formal ist diese Darstel­lung lach­haft. Hier wurde das vor Jahr­zehn­ten übli­che Verfah­ren »Nicht­zu­tref­fen­des bitte durch­strei­chen« 1:1 in ein IT-Verfah­ren umge­setzt, statt dafür unter­schied­li­che Selek­tio­nen zu schaf­fen. Aber auch bei vernünf­ti­ger Gestal­tung ist diese Aussage unzu­rei­chend, denn es wird nicht darge­legt, warum auf der befes­tig­ten Fläche das Parken verbo­ten ist. 

Mit dem Hinweis, dass die bauli­che Gestal­tung des Mittel­strei­fens auf eine zum Parken vorge­se­hene Fläche schlie­ßen lässt und auch keine Verbots­schil­der aufge­stellt waren, hatte der Beschul­digte um Erläu­te­rung gebe­ten. Diese Erläu­te­run­gen wurden nicht gege­ben, sondern ein Bußgeld­be­scheid geschickt.

(Solche Erläu­te­run­gen ließen sich am einfachs­ten tele­fo­nisch ertei­len, doch zu tele­fo­ni­schen Auskünf­ten war die Bußgeld­stelle nicht imstande, weil der bezo­gene Vorgang nie greif­bar war, wann immer man dort auch anrief, und die Mitar­bei­ter in den eigent­li­chen Fall und seine Umstände ohne­hin nicht invol­viert waren. Ein Problem, das im System liegt: Die auskunfts­fä­hi­gen Außen­dienst­mit­ar­bei­ter sind nicht erreich­bar, die Innen­dienst­mit­ar­bei­ter kennen nur den Code des Versto­ßes ohne Details.)

Der lapi­dare Hinweis auf dem Bußgeld­be­scheid ist nach Meinung der Bear­bei­ter nicht nur ausrei­chend, sondern vermeint­lich sogar recht­lich abgesichert:

Einga­ben, die eine bereits erle­digte Sache betref­fen, ohne neue Tatsa­chen oder Gesichts­punkte zu enthal­ten, sollen einmal zurück­ge­wie­sen werden (z.B.: ”Auf Ihr Schrei­ben habe ich die Ange­le­gen­heit noch­mals geprüft. Bean­stan­dun­gen haben sich nicht erge­ben.«); weitere Einga­ben in dersel­ben Sache sollen uner­le­digt bleiben.

aus § 40 (1) GGO I Berlin 

Von Läster­zun­gen auch »Beam­ten­schutz­klau­sel« genannt, besagt diese Vorschrift das genaue Gegen­teil. Dem Halb­satz »ohne neue Tatsa­chen oder Gesichts­punkte zu enthal­ten« kommt die höchste Bedeu­tung zu. Sie sagt im Umkehr­schluss eindeu­tig, dass beim Vortra­gen neuer Tatsa­chen oder Gesichts­punkte sehr wohl darauf einzu­ge­hen ist. Neue Tatsa­chen und Gesichts­punkte sind im zitier­ten Fall erst recht die vom Beschul­dig­ten vorge­brach­ten Fragen, die sich aus den unklar formu­lier­ten Vorwür­fen ergeben.

Der Bürger hat ein Recht darauf, dass ihm Vorwürfe klar und deut­lich begrün­det werden. Wenn sich die Behörde unklar ausge­drückt hat und der Bürger deshalb Fragen stellt, sind diese konkret zu beant­wor­ten und nicht mit dem Hinweis, sie hätten nichts zur Entlas­tung beigetra­gen, zu ignorieren.

Die Ange­le­gen­heit wurde letzt­end­lich vor Gericht verhan­delt; erst dort wurde dem Beschul­dig­ten die (in Fach­krei­sen durch­aus strit­tige und zwischen den Bezir­ken unter­schied­lich gehand­habte) Rechts­lage deut­lich gemacht. In der Haupt­sa­che unter­lag der Beschul­digte. Die wegen der sturen Haltung der Bußgeld­stelle verur­sach­ten Verfah­rens­kos­ten trug aller­dings letzt­end­lich die Landeskasse.