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Amtssprache: Ursachen

Betriebsblindheit

Als »betriebs­blind« bezeich­net gemein­hin die Eigen­schaft mancher Zeit­ge­nos­sen, die Zustände inner­halb der eige­nen sozia­len Gruppe (»Blase«) als gemein­gül­tig zu erach­ten. Dabei über­se­hen sie, dass außer­halb der Blase ganz andere Situa­tio­nen und Gepflo­gen­hei­ten existieren.

Solch Unver­ständ­nis nebst einge­fah­re­ner Denk­wei­sen, unter­schied­li­cher Ordnungs­be­griffe, eige­ner betrieb­li­cher Vorge­hens­wei­sen, die der Empfän­ger nicht (er)kennt, in der Korre­spon­denz nieder, sind eine sehr häufig anzu­tref­fende Ursa­che für die Unver­ständ­lich­keit amtli­cher Schreiben.

Die vorste­hende, mit Ort und Datum zu verse­hende und zu unter­schrei­bende Erklä­rung darf nicht in den Wahl­um­schlag gesteckt werden, in den der – die – Stimm­zet­tel einzu­le­gen sind. Die Erklä­rung ist viel­mehr neben dem Wahl­um­schlag in den an den Wahl­vor­stand adressier­ten Frei­um­schlag zu legen.

aus einer Briefwahl-Anleitung

Den Verfas­sern dieser Anlei­tung war der gesamte Ablauf des Brief­wahl­vor­gangs geläu­fig und stand ihnen klar vor Augen. Deshalb bemerk­ten sie auch gar nicht, dass diese Anlei­tung jedwede Ablauf­lo­gik vermis­sen lässt.

Die erste Schwie­rig­keit für den Anwen­der dieser Vorga­ben liegt in den beiden unter­schied­li­chen Umschlä­gen: Wahl­um­schlag und Frei­um­schlag. Der Frei­um­schlag ist daran zu erken­nen, dass er an den Wahl­vor­stand adres­siert ist. Hier ist zu empfeh­len, diese Umschläge zusätz­lich farb­lich zu unter­schei­den und die Farben in der Anlei­tung anzu­ge­ben. (Wobei darauf geach­tet werden muss, dass die Farben auch für Farb­seh­schwa­che unter­scheid­bar sein müssen.)[Aktualisierung: Wird seit eini­gen Jahren tatsäch­lich so gemacht.]

Das ist aber nur das geringste Problem. Viel schwe­rer wiegt, dass die Arbeits­ab­läufe völlig wirr darge­stellt sind und sich deshalb nur schwer nach­voll­zie­hen lassen. Bröseln wir die beiden Sätze doch einfach mal in zeit­li­cher Abfolge auf:

1. Stimm­zet­tel in Wahl­um­schlag einlegen,

2. Erklä­rung mit Ort und Datum verse­hen und unterschreiben,

3. Wahl­um­schlag in Frei­um­schlag stecken,

4. Erklä­rung neben dem Wahl­um­schlag in den Frei­um­schlag stecken.

Diese stich­wort­ar­tige Ablauf­be­schrei­bung lässt sich auch in ganzen Sätzen als Schritt-für-Schritt-Anlei­tung formulieren:

  1. Legen Sie den/​die Stimm­zet­tel in den weißen Wahlumschlag.
  2. Unter­schrei­ben Sie die vorste­hende Erklä­rung und verse­hen Sie sie mit Orts- und Datumsangabe.
  3. Legen Sie dann den weißen Wahl­um­schlag und die Erklä­rung gemein­sam in den roten Frei­um­schlag, der bereits an den Wahl­vor­stand adres­siert ist.

Stecken Sie die Erklä­rung bitte auf keinen Fall in den weißen Wahlumschlag!

Im Abschnitt »Geschäfts­gang« der Gemein­sa­men Geschäfts­ord­nung für die Berli­ner Verwal­tung (GGO I) von 2011 sind alle Arbei­ten beschrie­ben, die mit dem Bear­bei­ten von Eingän­gen, dem Ferti­gen von Verfü­gun­gen und dem Absen­den von Rein­schrif­ten – also mit dem Abar­bei­ten eines Vorgangs – zu tun haben. Da sollte zu erwar­ten sein, dass dies struk­tu­riert und ablauf­ori­en­tiert darge­stellt ist, doch weit gefehlt.

Es ist nicht ergründ­bar, welche Krite­rien der seit Jahr­zehn­ten gewähl­ten (bewähr­ten?) Reihen­folge zugrunde liegen, aber dem ratsu­chen­den Bear­bei­ter erschlie­ßen sie sich nicht.

Die Reihen­folge der einschlä­gi­gen Para­gra­fen ist in der Grafik dem Bear­bei­tungs­ab­lauf gegenübergestellt:

Die grafi­sche Darstel­lung zeigt, dass die einschlä­gi­gen Para­gra­fen bunt durch­ein­an­der stehen und nicht in der Reihen­folge des Arbeits­ab­laufs, wie es sich für eine Arbeits­an­lei­tung gehört, die jener Abschnitt der GGO ja zwei­fels­ohne sein soll. Selbst der Name »Geschäfts­gang« weist darauf hin.

Exem­pla­risch seien wegen der »Doppel­schleife« die vorletz­ten Zeilen des Ablauf­plans näher erläutert:

Eine Rein­schrift kann erst unter­zeich­net oder beglau­bigt werden (§ 57), wenn sie gefer­tigt ist (§ 58). Der Zusam­men­hang von Ferti­gung und Absen­dung in § 58 ist aber durch das Unter­zeich­nen und Beglau­bi­gen aus § 57 unter­bro­chen, deshalb gehö­ren die beiden Arbeits­gänge nicht zusam­men. Sinn­vol­ler wäre es, entwe­der beide Para­gra­fen ein einem (»Rein­schrif­ten«) zusam­men zu fassen und intern ablauf­ori­en­tiert zu glie­dern oder daraus drei Para­gra­fen in rich­ti­ger Abfolge zu machen:

ferti­gen → unter­schrei­ben oder beglau­bi­gen → absenden

In dieser den tatsäch­li­chen Abläu­fen nicht ange­pass­ten Glie­de­rung ist einer der diver­sen Gründe für den Mangel an Verständ­nis gegen­über der GGO und den immensen Schu­lungs­be­darf zu sehen. Man muss beden­ken, dass diese Arbeits­an­wei­sung nicht nur von »gelern­ten Beam­ten« zu beach­ten ist; im öffent­li­chen Dienst arbei­ten weit mehr Quer­ein­stei­ger als Menschen mit Verwal­tungs­fach­aus­bil­dung. Aller­dings wird dieses Handi­cap von der feder­füh­ren­den Senats­ver­wal­tung für Inne­res, die fast ausschließ­lich aus Verwal­tungs­fach­leu­ten und Juris­ten besteht, wohl gar nicht erkannt.

Der Titel dieses Beispiels setzt sich aus zwei ironisch zusam­men­ge­fass­ten Meldun­gen zusammen.

Bereits seit 1997 sind Mobbing und sexu­elle Beläs­ti­gung in München zwin­gende Inhalte der Führungskräfteschulungen.

aus KGSt-INFO 10/​2001

Wir wollen in dieser Legis­la­tur­pe­ri­ode in allen Bezir­ken die Zahl der Bürger­äm­ter auf mindes­tens 60 erhöhen.

aus der Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung zwischen SPD und PDS Berlin 2001–2006

In beiden Beispie­len ist eine enge Verbin­dung mit der einge­fah­re­nen Denk­weise zu erken­nen, denn die Inten­tion der Autoren wird dem Leser schnell klar, weil die tatsäch­li­chen Aussa­gen beider Zitate zu absurd sind. Es gibt keine Kurse, in denen man Mobbing und sexu­elle Beläs­ti­gung lernt, sondern Präven­tion gegen Mobbing. Ebenso hatte gewiss niemand vor, Berlin mit 720 Bürger­äm­tern zuzupflastern.

Dennoch hätte man die Stutz­ef­fekte durch hinrei­chende Über­le­gung schon beim Schrei­ben vermei­den können. Und leider ist es eben nicht immer so deut­lich zu erken­nen, dass sich ein Autor einfach nur undeut­lich ausge­drückt hat, weil er sein Ziel »zu klar« vor Augen hatte.

Auch in »klas­si­schen« Geset­zes­tex­ten finden sich solche Stilblüten:

Hält sich eine Partei an einem Ort auf, der durch obrig­keit­li­che Anord­nung oder durch Krieg oder durch andere Zufälle von dem Verkehr mit dem Prozess­ge­richt abge­schnit­ten ist, so kann das Gericht auch von Amts wegen die Ausset­zung des Verfah­rens bis zur Besei­ti­gung des Hinder­nis­ses anordnen.

§ 247 ZPO

Der Gesetz­ge­ber muss ja eine hohe Meinung von der Effek­ti­vi­tät seiner Exeku­tive haben, wenn er deren Akti­vi­tä­ten mit Zufäl­len gleich­setzt. Natür­lich ist das nicht beab­sich­tigt gewe­sen, es handelt sich um eine bloße vergleichs­freie Aufzäh­lung von Tatbe­stän­den, doch die Wort­wahl legt diesen sati­ri­schen Schluss nahe, beson­ders durch das Wort »andere«, das hier schad­los entbehr­lich ist.

Schon lange vor Richard David Precht schaffte es ein Verwal­tungs­mit­ar­bei­ter, diese Sinn­frage einem Leis­tungs­emp­fän­ger nahezulegen.

Wir haben fest­ge­stellt, dass zu Ihrem Haus­halt ausschließ­lich Fami­li­en­mit­glie­der rech­nen, denen Leis­tun­gen nach dem Bundes­aus­bil­dungs­för­de­rungs­ge­setz (BAFöG) dem Grunde nach zustehen.

aus einem Wider­spruchs­be­scheid eines Wohnungsamtes

Wie viele Mitglie­der zählt die von diesem Bescheid betrof­fene Fami­lie wohl?

Da der Plural verwen­det wird, müssen es wohl mindes­tens zwei sein, viel­leicht sogar eine Großfamilie. 

Der Bescheid ging jedoch an eine allein lebende Studen­tin! Korrekt wäre also gewesen:

Wir haben fest­ge­stellt, dass Ihnen Leis­tun­gen nach dem Bundes­aus­bil­dungs­för­de­rungs­ge­setz (BAFöG) dem Grunde nach1 zustehen.

Berück­sich­tigt man bei der Umfor­mu­lie­rung die weite­ren sprach­li­chen Unzu­läng­lich­kei­ten des Ursprungs­sat­zes, redu­ziert er sich auf ein simp­les und verständliches:

Ihnen stehen dem Grunde nach Leis­tun­gen nach dem Bundes­aus­bil­dungs­för­de­rungs­ge­setz (BAFöG) zu.


1 An dieser selt­sa­men Formu­lie­rung »dem Grunde nach« lässt sich leider nichts ändern, weil das eine fest­ge­fügte juris­ti­sche Bedin­gungs­for­mel ist. Im zitier­ten Bescheid erscheint diese Formu­lie­rung übri­gens insge­samt fünf Mal auf einer halben Seite!

Eine ganz banale Ursa­che für selt­same Formu­lie­run­gen liegt in unser aller Schul­zeit begrün­det. Damals ist uns einge­bläut worden, dass Sätze niemals mit »Ich« begon­nen werden sollen.

So eine in früher Kind­heit dres­sierte Vorgabe sitzt tief und beein­flusst unser Denken erheb­lich. Deshalb grei­fen wir in unse­rem Schrift­ver­kehr häufig zu umständ­li­chen Formu­lie­run­gen, statt den Satz einfach mit »Ich« zu begin­nen und ihn damit klar verständ­lich zu halten.

Was für »Ich« gilt, gilt grund­sätz­lich auch für »Wir«, doch irgend­wie ist es leich­ter, ein »Wir« an den Anfang zu stel­len, man ist dann nur ein Esel unter vielen. Wo aller­dings im Schrift­ver­kehr die »Ich«-Form vorge­schrie­ben ist, blühen die bunten Wiesen der Ich-Vermeidung.

In Ände­rung des bishe­ri­gen Verfah­rens wird gere­gelt, dass der Schrift­ver­kehr der Behör­den in der »Ich-Form« erfolgt. Damit wird der Bear­bei­ter in den Mittel­punkt des Verwal­tungs­han­delns gestellt und dies auch nach außen verdeut­licht. Durch Abge­hen vom anony­men »Wir« tritt der Bear­bei­ter dem Bürger direkt gegen­über; er bleibt aber in seiner Funk­tion Mitar­bei­ter der jewei­li­gen Behörde.

Senats­vor­lage zur GGO I Berlin; Begrün­dung zu § 47

Es ist ja schön, dass der Mittel­punkt des Verwal­tungs­han­delns nach außen verdeut­licht wird, doch hilft das bei der Verstän­di­gung mit den Bürgern nicht viel, wenn gerade deswe­gen wieder kompli­zierte Umschrei­bun­gen und Passiv-Formu­lie­run­gen verwen­det werden. Neben den berühm­ten holp­ri­gen Einlei­tungs­flos­keln wie »Auf Grund von § … habe ich entschie­den, …« oder »Zu Ihrem Schrei­ben vom … teile ich Ihnen mit, …« kann der Versuch, den »Esel voran« zu vermei­den, auch Blüten treiben:

Während der gesam­ten Lauf­zeit des Verfah­rens bitte ich Sie, jede Ände­rung Ihrer Einkom­mens­ver­hält­nisse, Ihres Fami­li­en­stan­des und Ihres Wohn­or­tes unver­züg­lich mitzuteilen.

aus einem Bescheid einer Einbürgerungsstelle

Der Absen­der bittet und bittet und bittet immer wieder, so lange, bis das Verfah­ren endlich abge­schlos­sen ist. Viel­leicht könnte es schnel­ler abge­schlos­sen werden, wenn er nicht so viel Zeit darauf verschwen­den würde, stän­dig zu bitten? Spaß beiseite: Bei Miss­ach­tung der fast schon im archai­schen Bewusst­sein veran­ker­ten Esel-Regel hätte sich der Satz viel einfa­cher und deut­li­cher formu­lie­ren lassen:

Ich bitte Sie, mir jede Ände­rung Ihrer Einkom­mens­ver­hält­nisse, Ihres Fami­li­en­stan­des und Ihres Wohn­or­tes während der Lauf­zeit des Verfah­rens unver­züg­lich mitzuteilen.

oder, sogar ohne »ich«:

Bitte teilen Sie mir jede Ände­rung Ihrer Einkom­mens­ver­hält­nisse, Ihres Fami­li­en­stan­des und Ihres Wohn­or­tes während der Lauf­zeit des Verfah­rens unver­züg­lich mit.

Akten­zei­chen sind das Ordnungs­kri­te­rium von Behör­den und Gerich­ten. Ohne sie ist das Auffin­den eines Vorgangs erschwert, weshalb auch immer im Schrift­ver­kehr darauf hinge­wie­sen wird, unbe­dingt bei Antwor­ten das Akten­zei­chen anzugeben.

Soweit, so grün! Aber: Akten­zei­chen begeg­nen uns auch in Form »ange­wand­ter Verwirr­tech­nik«, wie die folgen­den Beispiele zeigen:

Fröhliches Geschäftsnummern-Lotto

Sehr zur Unklar­heit beitra­gend ist es, wenn inner­halb eines Verfah­rens mehr­fach die Geschäfts­zei­chen wech­seln; bei Gerich­ten übri­gens Geschäfts­num­mer genannt, selbst dann, wenn Buch­sta­ben darin vorkommen.

Mein Auto heißt Hugo und nicht 123456789‑X

Wenden wir noch einmal unsere Aufmerk­sam­keit dem Fall­bei­spiel mit der Auto­ver­si­che­rung zu. Dort ist schon erläu­tert, wie er besser lesba­rer wird, aber immer noch nicht gut lesbar.

Kraft­fahrt­ver­si­che­rung

Weite­rer Vertrag: 12/076540—B

Sehr geehr­ter Herr Dingskirchen,

wegen der Über­schnei­dung der Zulas­sungs­zei­ten hatten wir Ihrem Antrag entspre­chend für Ihren PKW B‑BB 999, einen Zweit­ver­trag unter 12/140976—V erstellt. Infolge der uns einge­reich­ten Erklä­rung gemäß Tarif­be­stim­mung Nr. 26 Abs. 5 haben wir den Rabatt für Scha­den­frei­heit ab 14.09.07 von 12/076540—B auf 12/​140976‑V übertragen.

Ihren Vertrag 12/076540—B mußten wir deshalb ab 14.09.2007 in die SF—Klasse 1/​2 = 125 % einstu­fen. Hier­für wurde der anteil­mä­ßige Unter­schieds­bei­trag von der SF—Klasse 5 = 60 % zur SF—Klasse 1/​2 = 125 % irrtüm­lich bis zur näch­sten Fällig­keit, dem 12.10.07, statt nur bis zur Ummel­dung des Fahr­zeu­ges am 20.09.2007 berechnet.

Dieser Text­aus­zug reicht für das darzu­stel­lende Thema.

Beson­ders irri­tie­ren die Zahlen­wür­mer der Vertrags­num­mern. Gewiss, die Vertrags­num­mer ist das Ordnungs­kri­te­rium bei einer Versi­che­rung, doch dem Versi­che­rungs­neh­mer sagt sie nichts. Für ihn sind im vorlie­gen­den Fall der Fahr­zeug­typ und das Fahr­zeug­kenn­zei­chen maßgeb­lich. (Genau genom­men unter­schei­det er noch subti­ler, nämlich nach »altes Auto« und »neues Auto«, aber so stark kann ein Bescheid natür­lich nicht ab­strahiert werden.)

Allein der Ersatz der Versi­che­rungs­schein­num­mern durch die Auto­kenn­zei­chen macht das Schrei­ben leich­ter verständlich:

Kraft­fahrt­ver­si­che­rung

Verträge: 12/076540–8 (Fahr­zeug B‑GG 555), 12/​140976‑V (Fahr­zeug B‑BB 999)

Sehr geehr­ter Herr Dingskirchen,

wegen der Über­schnei­dung der Zulas­sungs­zei­ten hatten wir Ihrem Antrag entspre­chend für Ihren PKW B‑BB 999 einen Zweit­ver­trag unter 12/​140976‑V erstellt. Infolge der uns einge­reich­ten Erklä­rung gemäß Tarif­be­stim­mung Nr. 26 Abs. 5 haben wir den Rabatt für Ihr bishe­ri­ges Fahr­zeug B‑GG 555 auf Ihr neues Fahr­zeug B‑BB 999 übertragen.

Ihren Vertrag für B‑GG 555 mußten wir deshalb ab 14.09.2007 in die SF-Klasse 1/​2 = 125 % einstu­fen. Hier­für wurde der anteil­mä­ßige Unter­schieds­bei­trag von der SF-Klasse 5 = 60 % zur SF-Klasse 1/​2 = 125 % irrtüm­lich bis zur näch­sten Fällig­keit, dem 12.10.2007, statt nur bis zur Ummel­dung des Fahr­zeu­ges am 20.09.2007 berechnet.

Ein legi­ti­mer Ansatz zur Verein­fa­chung der Arbeit ist: »Wir hatten da doch etwas, was so ähnlich war …« Schon wird der ähnli­che Vorgang heraus gesucht und ange­passt – leider nicht immer ausrei­chend. Ein paar Spezi­fi­ka­tio­nen des aktu­el­len Vorgangs passen denn doch nicht zum Muster, aber das wird (auch aus Betriebs­blind­heit) leicht überlesen.

Gern passiert so etwas bei der Über­nahme vorhan­de­ner Formu­lare auf neue Sach­ver­halte. Ein Präzen­denz­fall ist der verlinkte und kommen­tierte Frage­bo­gen, der sich in ande­ren Sach­ver­hal­ten schon bewährt hatte, aber so gar nicht zu den Eigen­ar­ten der neuen Ziel­gruppe passte.

Wer versäumt, sich mit den Beson­der­hei­ten eines Falls ausein­an­der­zu­set­zen, darf sich nicht wundern, wenn die Antwor­ten nicht auswert­bar sind.

Der rechts verlinkte Frage­bo­gen zeigt einen beson­ders kras­sen Fall, bei dem Ziel­gruppe und Frage­stel­lung ausein­an­der klaffen.

Im Arbeitstakt-takt-takt-takt-takt

Mich belas­tet die Abhän­gig­keit … nie selten manch­mal häufig sehr häufig
… vom Arbeits­tempo der Kolleginnen/​Kollegen O O O O O
… vom Arbeits­takt der Maschi­nen O O O O O

aus einem Frage­bo­gen der BKK Essen

Die Frage nach dem Arbeits­takt ist unzwei­fel­haft, wenn dieser Frage­bo­gen in Indus­trie­be­trie­ben mit Fließ­band­ar­beit einge­setzt wird. Daher stammt der Frage­bo­gen auch, er ist sehr umfang­reich (7 Seiten) und hat sich in der Vergan­gen­heit so gut bewährt, dass er immer wieder als Vorlage verwen­det wird.

Leider unter­lief den Verant­wort­li­chen der Fehler, diesen Frage­bo­gen auch in einem reinen Verwal­tungs­be­reich einzu­set­zen. Obwohl ca. acht Monate (!) lang zwischen Orga­nisatoren der Umfrage und Perso­nal­rat über den Inhalt des Frage­bo­gens gestrit­ten wurde, fiel diese Frage nicht auf.

Nun kann man natür­lich prag­ma­tisch sagen, dass es im Verwal­tungs­be­reich keinen Arbeits­takt gibt, deshalb hier also »nie« anzu­kreu­zen wäre. Spitz­fin­dig gedacht aller­dings gibt es sehr wohl auch an Büro­ar­beits­plät­zen Arbeits­takte von Maschi­nen, denn kaum ein Büro­ar­beits­platz verfügt heute nicht über einen Compu­ter. Und dessen Arbeits­takt belas­tet schon, aller­dings in völlig ande­rer Weise als es von den Erfin­dern dieses Frage­bo­gens gedacht war: Die in der öffent­li­chen Verwal­tung übli­che Uralt-Tech­nik führt dazu, dass man häufig blöd auf den Bild­schirm starrt, weil die schlechte Hard­ware den Anfor­de­run­gen der anspruchs­vol­len Soft­ware wieder mal nicht gerecht wird und so das »Antwort­zeit­ver­hal­ten« zur Zumu­tung gerät. Rich­tige Antwort in diesem Fall also: »häufig« bis »sehr häufig«.

Auch die Frage nach der Belas­tung durch das Arbeits­tempo der Kolle­gin­nen und Kolle­gen ist ambi­va­lent: Sowohl deren zu schnel­les als auch zu lang­sa­mes Arbeits­tempo können die eigene Arbeit beein­flus­sen und zu Stress führen. Beide Fragen sind nicht seriös auswert­bar, weil nicht erkenn­bar ist, aus welcher Perspek­tive die Antwor­ten ange­kreuzt wurden.

Da die Frage­bo­gen streng anonym ausge­wer­tet wurden, war ein Nach­fra­gen im Einzel­fall nicht möglich.

Zur sinn­vol­len Auswer­tung dieser Fragen hätte also jeweils eine Ergän­zungs­frage gehört, aus der hervor­geht, wie die Antwor­ten zu werten sind. Die aber fehlte, weshalb das Ergeb­nis nicht auswert­bar blieb.

(Weitere Erör­te­run­gen zu diesem Fall finden Sie im Skript »Formu­lare gestal­ten«.)

Können wir eigent­lich davon ausge­hen, dass der Empfän­ger unse­rer Korre­spon­denz alle Infor­ma­tio­nen besitzt, die wir bei ihm vermu­ten? Wohl kaum, dennoch unter­stel­len wir das häufig und erwar­ten, dass die Bürger Sach­ver­halte verste­hen, die sie wegen fehlen­den Hinter­grund­wis­sens gar nicht verste­hen können.

Hierzu der Abwech­se­lung halber ein Beispiel aus dem tech­ni­schen Bereich:

Symptom Mögli­che Ursa­che Lösung


Die Tasta­tur Die Tasta­tur Schlie­ßen Sie die
funk­tio­niert nicht. ist nicht rich­tig Tasta­tur rich­tig an.
 ange­schlos­sen.  

aus einer Computer-Bedienungsanleitung

Diese »Lösung« ist ja über­aus hilf­reich. Woraus resul­tiert denn das falsche Anschlie­ßen der Tasta­tur? Doch sicher aus der Unkennt­nis über den rich­ti­gen Anschluss. Der Rat suchende Kunde dürfte sich ange­sichts dieser »Hilfe­stel­lung« veral­bert vorkommen.

Was man weiß; was man wissen sollte

Im Bewusst­sein, dass der Empfän­ger evtl. Infor­ma­ti­ons­de­fi­zite hat, wird ihm die notwen­dige Infor­ma­tion zwar gege­ben, jedoch in einer eigen­wil­li­gen Form: Dem Empfän­ger wird bei der Ertei­lung der Infor­ma­tion unter­stellt, über dieses Wissen bereits verfü­gen zu müssen. Sehr beliebt sind Formu­lie­run­gen der Art »Wie Sie wissen, …«. Manch­mal wird diese Unter­stel­lung noch unter­füt­tert für nähere Erklä­run­gen, woher der Empfän­ger etwas wissen müsste, zum Beispiel »aus der Tages­presse« oder noch verwe­ge­ner in diesem Beispiel:

Wie Sie spätes­tens seit der Diskus­sion im Zusam­men­hang mit der Verab­schie­dung des Geset­zes zur Förde­rung der Selb­stän­dig­keit wissen, unter­lie­gen Sie mit Einkünf­ten aus Ihrer Tätig­keit als freier Mitarbeiter/​Honorarkraft grund­sätz­lich der Rentenversicherungspflicht.

Eröff­nungs­satz aus einem Schrei­ben der Verwal­tungs­aka­de­mie Berlin an frei­be­ruf­li­che Dozenten

Gar nichts muss der Empfän­ger wissen! Das Behör­den­schrei­ben soll ihn über einen Sach- oder Rechts­ver­halt aufklä­ren. Wüsste er darüber schon Bescheid, bedürfte es dieses Schrei­bens ja wohl nicht. Und dann noch dieser Vorwurf »spätes­tens« – als hätte man etwas ohne­hin schon wissen müssen, aber nun erst recht!

Was ist der Hinter­grund solcher Formu­lie­run­gen? Der Empfän­ger soll in die Defen­sive gedrängt werden. Zwischen den Zeilen steht: »Du nach­läs­si­ger Bürger hast dich schlecht infor­miert, aber ich, dein Amt, werde dir schon auf die Sprünge helfen!« Damit werden beim Empfän­ger unter­schied­li­che Reak­tio­nen ausge­löst: Entwe­der duckt er sich, weil er sich in seiner (von der Behörde unter­stell­ten) Nach­läs­sig­keit ertappt fühlt, oder er muckt auf, weil er gar nicht einsieht, dass er sich hätte infor­mie­ren müssen, weil ihm der Bezug auf seine Person über­haupt nicht bekannt war.

Beide Reak­tio­nen sind aber nicht erwünscht; eigent­lich wollen wir ja die Koope­ra­tion des Bürgers. Darum muss auf derar­tige provo­kante Beleh­run­gen verzich­tet werden. Beleh­ren ja, aber nicht mit unter­schwel­li­ger Schuld­zu­wei­sung. Das obige Beispiel könnte also lauten:

Auf Grund des neu erlas­se­nen Geset­zes zur Förde­rung der Selb­stän­dig­keit unter­lie­gen Sie mit Einkünf­ten aus Ihrer Tätig­keit als freier Mitarbeiter/​Ho­no­rarkraft even­tu­ell der Rentenversicherungspflicht.

Beach­ten Sie auch die Fein­heit des Unter­schie­des zwischen grund­sätz­lich und even­tu­ell!


Was man weiß und was man wissen sollte, wird sogar im § 166 BGB geregelt:

(1) Soweit die recht­li­chen Folgen einer Willens­er­klä­rung durch Willens­män­gel oder durch die Kennt­nis oder das Kennen­müs­sen gewis­ser Umstände beein­flusst werden, kommt nicht die Person des Vertre­te­nen, sondern die des Vertre­ters in Betracht.

(2) Hat im Falle einer durch Rechts­ge­schäft erteil­ten Vertre­tungs­macht (Voll­macht) der Vertre­ter nach bestimm­ten Weisun­gen des Voll­macht­ge­bers gehan­delt, so kann sich dieser in Anse­hung solcher Umstände, die er selbst kannte, nicht auf die Unkennt­nis des Vertre­ters beru­fen. Dasselbe gilt von Umstän­den, die der Voll­macht­ge­ber kennen musste, sofern das Kennen­müs­sen der Kennt­nis gleichsteht.

Moment mal, bitte! Wovon habe ich Kennt­nis und wovon muss ich Kennt­nis haben? Das Kennen­müs­sen (tolles Wort, steht weder im Duden noch im Wahrig) steht gemäß Absatz 2 der Kennt­nis gleich. Wie soll das gehen? Wenn Kennen­müs­sen der Kennt­nis gleich­steht, warum gibt es dann über­haupt noch einen Unter­schied? Dann könnte man auf den Begriff des Kennen­müs­sens doch völlig verzich­ten, denn er ist wohl ein Synonym von Kennt­nis. Halt – Trug­schluss! Da steht ja »sofern«. Also stehen Kennt­nis und Kennen­müs­sen nicht immer gleich. Aber wann tun sie es und wann nicht? Darüber schweigt sich Gesetz­ge­ber aus. Aus gutem Grund vermut­lich, wenn man die Kate­go­ri­sie­rung anwen­det. Bei der Schaf­fung des Geset­zes wollte man wohl voraus­schau­end eine Gene­ralexkul­pa­tion einbauen.


Bitte bloß nicht an uns überweisen!
Wohin sonst, musst Du schon selber wissen.

In manchen Behör­den­schrei­ben sind Vorga­ben oder vermeint­lich hilf­rei­che Hinweise enthal­ten, die sich dem Bürger nicht erschließen.

Akten­zei­chen der Verwal­tungs­be­hörde: 34.654321.4

Post­ge­büh­ren für die förm­li­che Zustel­lung: 5,60 EUR

Im gericht­li­chen Bußgeld­ver­fah­ren sind die oben genann­ten Post­ge­büh­ren für förm­li­che Zustel­lun­gen gemäß Anlage 1 zu § 11 GKG, Nr. 9002 des Kosten­ver­zeich­nis­ses, entstanden.

Dieser Betrag wird der Verwal­tungs­be­hörde zur Einzie­hung mitge­teilt (Nr. 6.2.1 Anlage AV § 59 Landeshaushaltsordnung).

Sie werden hier­durch aufge­for­dert, den oben genann­ten Betrag zusam­men mit der Forde­rung der Verwal­tungs­be­hörde in der im Bußgeld­be­scheid bestimm­ten Weise an die dort ange­ge­bene Kasse zu bezahlen.

Die Zahlung darf also nicht an das Gericht oder die Justiz­kasse erfolgen.

Vordruck Owi 76 des AG Tiergarten

Bei diesem Schrei­ben erschließt sich der Inhalt schwer bis über­haupt nicht. Größ­tes Problem ist der fehlende Bezug zum eigent­li­chen Vorgang. Ange­ge­ben ist ein Akten­zei­chen der Verwal­tungs­be­hörde, ein kryp­ti­sches Ordnungs­merk­mal jener Behörde, die einen Bußgeld­be­scheid erlas­sen hatte. Dieser Bußgeld­be­scheid war vor Gericht verhan­delt worden und nun macht das Gericht seine Porto-Ausla­gen geltend. Ob der (unbe­darfte) Empfän­ger das wohl versteht? Der Absen­der weiß, worum es geht, aber anhand welcher Krite­rien soll der Empfän­ger dieses Schrei­ben zuord­nen? Zumal er es ja nicht unbe­dingt zeit­nah erhal­ten muss. Oft sind seit der Verhand­lung schon Wochen verstri­chen und das Bußgeld schon bezahlt, der Vorgang für den Bürger also ad acta gelegt. Ein weite­rer Unsi­cher­heits­fak­tor sind die wenig hilf­rei­chen Verweise und Floskeln:

wird der Verwal­tungs­be­hörde zur Einzie­hung mitgeteilt

Ja, bitte­schön, sollen sie doch der Verwal­tungs­be­hörde mittei­len, was sie wollen, was inter­es­siert das den Betroffenen?

Jedoch: Die Verwal­tungs­be­hörde wurde aufge­for­dert, die Kosten einzu­trei­ben. Mittei­len ist etwas ande­res als auffor­dern, also trifft dieser Begriff über­haupt nicht zu.

in der im Bußgeld­be­scheid bestimm­ten Weise

Wie viele Vari­an­ten der Zahlungs­weise mag es wohl geben?

an die dort ange­ge­bene Kasse

Was hindert das Gericht, hier konkret zu anzu­ge­ben, an welche Kasse zu zahlen ist? Dieser Hinweis könnte dem Empfän­ger auch evtl. helfen, die Verwal­tungs­be­hörde zu erkennen.

Bei etwas mehr Orien­tie­rung am Empfän­ger könnte das Formu­lar wie folgt lauten:

Am _​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​haben Sie in der Verhand­lung Ihren Einspruch gegen den Bußgeld­be­scheid des _​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​(Akten­zei­chen: _​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​vom _​_​_​_​_​_​_​_​_​_​wegen _​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​_​zurück­ge­zo­gen.

Für das Verfah­ren sind der Justiz­kasse Ausla­gen für Porti in Höhe von 5,60 € entstan­den. Gemäß Anlage 1 zu § 11 des Gerichts­kos­ten­ge­set­zes, Nr. 9002 des Kosten­ver­zeich­nis­ses, sind Sie verpflich­tet, diese Kosten zu erstatten.

Um das Verfah­ren zu verein­fa­chen, ist diese Erstat­tung gemein­sam mit dem Bußgeld an die

O Landes­haupt­kasse O Bezirks­kasse ______________

zu zahlen. Soll­ten Sie das Bußgeld und die vom LPVA erho­be­nen Neben­kos­ten bereits begli­chen haben, über­wei­sen Sie die Porto­er­stat­tung mit densel­ben Anga­ben wie das Bußgeld eben­falls an die Landeshauptkasse/​Bezirkskasse. 

(Über­wei­sen Sie bitte nicht an die Justizkasse!)

In diesem Formu­lar wäre aller­dings etwas mehr auszu­fül­len als im Origi­nal. Diese zusätz­li­che Arbeit würde jedoch aufge­fan­gen durch einen Rück­gang der Nach­fra­gen verständ­nis­lo­ser Empfän­ger, denn:

Nach­fra­gen bei Kurs­teil­neh­mern aus den einschlä­gi­gen Einrich­tun­gen erga­ben, dass dieser Vordruck von jeher eine Nach­fra­ge­quote von rd. 70 % hat! Da bereits 30 bis 40 % Nach­fra­gen drin­gen­den Anlass zu Verfah­rens­ver­bes­se­run­gen signa­li­sie­ren, hat hier die Berli­ner Justiz offen­sicht­lich seit Jahren gemüt­lich geschlafen.

Grob geschätzt, würde sich ange­sichts der hohen Nach­fra­ge­quote die Über­ar­bei­tung des Formu­lars spätes­tens nach einem Jahr amortisieren.

Jedoch: Zum Zeit­punkt meiner Ermitt­lun­gen fühlte sich dort niemand zustän­dig. Deshalb vermute ich mal, dass sich daran nichts geän­dert hat.