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Amtssprache: Ursachen


(Innere) Diszi­plin

Im Gegen­satz zu Autoren und Jour­na­lis­ten können öffent­li­che Bediens­tete nicht frei drauf­los fabu­lie­ren, wir sind an bestimmte Regeln gebun­den. Doch welche Regeln sind das und wer gibt sie vor? In einem Sozio­lo­gie-Lehr­buch fand ich folgen­den Satz:

»Der Verwal­tungs­an­ge­hö­rige ist bei seinen Formu­lie­run­gen nicht frei, sondern muss sich nach der Spra­che der Gesetze und der Recht­spre­chung rich­ten, beson­ders bei Schrift­stü­cken, die einen unmit­tel­ba­ren gesetz­li­chen Bezug haben wie Durch­füh­rungs­be­stim­mun­gen und Verwaltungsakte.«

Der Sozio­loge unter­liegt hier einem typi­schen aris­to­te­li­schen Trug­schluss, indem er das Recht mit dem das Recht beschrei­ben­den Wort gleich­setzt! Das Wort ist nicht die Sache und das Wort ist auch nicht das Recht!

Niemand – auch kein »Verwal­tungs­an­ge­hö­ri­ger« ist verpflich­tet, zur Darstel­lung einer Rechts­lage die zum Teil verque­ren, aus zahl­rei­chen Kompro­mis­sen der betei­lig­ten Inter­es­sen­grup­pen entstan­de­nen Formu­lie­run­gen wort- und syntax­ge­treu wieder­zu­ge­ben. Wich­tig ist, dass die Rechts­lage eindeu­tig und verständ­lich beschrie­ben wird. Gerade diese Vorgabe erfül­len Rechts­nor­men häufig genug nicht, weshalb es gera­dezu drin­gend gebo­ten ist, diese Unspra­che im Umgang mit dem Bürger zu korrigieren.

Denn Adres­sat der Schrei­ben der Behör­den ist in erster Linie doch »der Bürger« und nicht die Verfas­ser von Rechts­vor­schrif­ten. Dennoch fühlen sich viele Verwal­tungs­mit­ar­bei­ter eben dieser unzu­tref­fen­den Vorgabe verpflichtet.

Ich gestatte mir deshalb, die oben zitierte These auf einen moder­nen Quali­täts- und Service­an­spruch der Bürger gegen­über der Behörde umzugestalten:

Die Dienst­kräfte der Behör­den und Gerichte sind Mitt­ler zwischen Gesetz und Bürger. Er muss sich in seinem Handeln nach den Geset­zen und der Recht­spre­chung rich­ten, in seinen schrift­li­chen Äuße­run­gen aber deren Spra­che dem betrof­fe­nen Bürger verständ­lich machen. Dies gelingt nur, wenn das Verwal­tungs­han­deln den Empfän­ger oder die Ziel­gruppe berücksichtigt.

Diese Forde­rung wurde unter­stützt in § 3 Abs. 1 des Verwal­tungs­re­form-Grund­sätze-Geset­zes (VGG) von 1999 (leider 2020 aufgehoben):

»Bürger­ori­en­tie­rung«

Alle Behör­den rich­ten ihre Orga­ni­sa­tion und die Art ihrer Leis­tungs­er­brin­gung im Rahmen des gesetz­li­chen Auftrags und der gebo­te­nen Wirt­schaft­lich­keit an den Anfor­de­run­gen der Leis­tungs­emp­fän­ger außer­halb der Berli­ner Verwal­tung einschließ­lich der beson­de­ren Belange der Wirt­schaft aus.