Sprachpflege
»Die Amtssprache ist deutsch.«
Ein kurzer, präziser Satz, möchte man glauben. Doch was ist »deutsch«? Wer bestimmt, was deutsch ist? Wenn man die Präambel zum Regelwerk der Neuen Deutschen Rechtschreibung betrachtet, ist man erstaunt, welche Gruppierungen und Nationalitäten daran mitgewirkt haben, obwohl als »Deutscher Sprachraum« doch im Wesentlichen die Bundesrepubliken Deutschland und Österreich sowie die deutschsprachigen Kantone der Schweiz und Belgiens gelten. Am Regelwerk beteiligt waren allerdings auch Vertretungen diverser deutschsprachiger Minderheiten aus den verschiedensten Staaten. So manche Absonderlichkeiten der Neuen Deutschen Rechtschreibung haben darin ihre Ursache. Doch Rechtschreibung ist nicht Gegenstand dieser Betrachtung, das Beispiel soll nur zeigen, wie vielfältig die Einflüsse auf eine Sprache sind.
In einem Verfahren gegen ein Jobcenter hat das VG Gießen bezweifelt, ob eine mit einem Anglizismus bezeichnete Einrichtung überhaupt eine Behörde sein kann.
Die Ausführungen sind teilweise lustig, teilweise auch wegweisend, was die Bürgernähe von Verwaltungseinrichtungen betrifft. Eine Abhandlung darüber finden Sie auf der verlinkten Website von »Rechtsindex – Das juristische Informationsportal«.
Ein seltsames Phänomen der Sprachpflege sind immer wiederkehrende Aktivitäten gegen eine vermeintliche »Überfremdung« der deutschen Sprache. Gemeint sind hauptsächlich Anglizismen, die zuerst von Fachsprachen übernommen und dann Allgemeingut werden. Dem können mehrere Argumente entgegen gehalten werden:
Es ist noch keine Sprache ausgestorben, weil sie zu viele Lehnwörter enthielt. Allein die Tatsache, dass es das Wort »Lehnwort« im deutschen Sprachgebrauch schon sehr lange gibt, spricht dafür, dass eine Adaption von fremdsprachlichen Begriffen nicht verkehrt sein kann. Und das »Ausleihen« von Wörtern ist kein einseitiger Vorgang. Andere Sprachen beziehen auch Wörter aus dem Deutschen und integrieren sie.
Die Übernahme von Fremdwörtern für neue oder unbekannte Begriffe ist in jeder Kultur normal. Viele Wörter werden gar nicht mehr als fremd erachtet.
Viele Waren, Pflanzen und Tiere gelangten seit der Antike aus fernen Ländern nach Europa, für die es hier keine Namen gab. Es wäre mühsam gewesen, für jedes Teil einen Namen zu erfinden. (Denken wir doch nur an die kryptischen Bezeichnungen der Botaniker und Zoologen.) Deshalb übernahmen die europäischen Sprachen die heimischen Bezeichnungen der Neuheiten, verballhornten sie häufig, aber die vormaligen Fremdwörter gingen in den eigenen Sprachschatz über.
Wenn man die deutsche Sprache genauer betrachtet, wird man auf eine Vielzahl von ehemaligen Lehnwörtern stoßen, die heute gar nicht mehr als solche erkannt werden. Selbst das deutscheste aller Gemüse hat keinen deutschen Namen, denn Kartoffel leitet sich vom italienischen tartufola ab; der Austriazismus Erdapfel wäre im Duktus der Deutschtümler konsequent.
Auch in der Verwaltungssprache werden unnötige Anglizismen vermutet, weshalb Herr Dr. Werthebach kurz vor seiner Abwahl als Berliner Innensenator in der Neufassung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung gegen den heftigen Widerstand seiner Senatskollegen eine Sprachschutzklausel unterbringen ließ:
§ 49 – Sprache, Stil und Form
(1) Die Schriftsätze sollen knapp, klar und umfassend sein. Auf eine leicht verständliche Darstellung in gutem Stil und höflicher Form ist Wert zu legen. Es sind einfache Sätze zu bilden und geläufige Wörter zu verwenden. Unentbehrliche Fachausdrücke sind zu erläutern, wenn dies zum Verständnis des Empfängers erforderlich ist. Zu vermeiden sind insbesondere überflüssige Zusätze und Wiederholungen, ein steifer Satzbau mit vielen Hauptwörtern sowie entbehrliche Modewörter.
(2) Fremdsprachliche Ausdrücke (auch aus dem angelsächsischen Sprachraum) sind grundsätzlich nur zu verwenden, soweit es aus fachlichen Gründen unumgänglich ist und die Verständlichkeit insbesondere gegenüber dem Bürger nicht beeinträchtigt wird. Die Verwendung fremdsprachlicher Ausdrücke scheidet insbesondere dann aus, wenn geeignete deutsche Wörter vorhanden sind oder solche bei neuen Sachverhalten aus vorhandenen Wortfeldern ohne besondere Schwierigkeit gebildet werden können.
Absatz 2 ist ein Schlag ins Gesicht aller, die sich um Verständlichkeit bemühen. Wenn ein allgemein eingeführtes und bekanntes Lehnwort durch ein deutsches Wortkonstrukt ersetzt werden muss, ist das der Verständlichkeit abträglich.
Ob die Rückinterpretation beim Empfänger klappt, interessiert weniger. Es gibt Verwaltungen, in denen auf die Anwendung des § 49 (2) GGO I verzichtet wird, weil er der in § 3 VGG verordneten Bürgerorientierung entgegen steht und das Gesetz der Verwaltungsvorschrift ja wohl übergeordnet ist.
Herr Werthebach berief sich dagegen auf Bundesrecht und hoffte wohl, damit das VGG (Landesrecht) auszuhebeln:
Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache deutsch. Zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts wird der neue Absatz 2 eingefügt mit der Regelung, fremdsprachliche Ausdrücke grundsätzlich nur unter den dort aufgeführten Bedingungen zu verwenden. Mit dieser Regelung soll bewirkt werden, dass die zunehmend anschwellende Flut von Anglizismen in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in der Verwaltungssprache vermieden wird.
Begründung in der Senatsvorlage zu § 49 Abs. 2 GGO I
Ein Ansinnen wie im letzten Satz kann nicht hingenommen werden und der Verweis auf das Verwaltungsverfahrensgesetz ist in diesem engeren Sinne wohl kaum zutreffend. Die Amtssprache soll sich der Sprache der Bürger annähern und nicht noch weiter entfremden. Wenn es möglich ist, allgemein unübliche Begriffe des »Handelsbrauchs« ins Ordnungsrecht einfließen zu lassen, muss es auch möglich sein, Worte des allgemeinen Sprachgebrauchs in Schriftsätzen der Behörden zu verwenden.
So ließe sich ein Morgen im Büro unter ausschließlicher Verwendung vorhandener Wortfelder in etwa beschreiben:
Ich betrete das Gebäude, halte im Aufzug ein Schwätzchen mit Obrigkeitsoberprüfer Schulze-Lüdenscheid, einem Leibesübungen-Begeisterten, der vom gestrigen Spiel in der Helden-Gilde berichtet und nicht vergisst, auf die Übertragung des Segelschifferennens um die Tasse des Seestreitkräfteführers heute Abend hinzuweisen. Im Dienstraum angekommen, schalte ich den Rechner ein und trage meine Ankunftszeit in einen scheinbaren Zeiterfassungsbogen des Rechenkästchen-Ablaufplans »Vorzüg« ein, einem Hilfsmittel aus dem Schreibstube-Paket des Unternehmens Kleinstweich. Dann schaue ich, ob der Ablaufplan »Ausguck« neue Bernstein-Mitteilungen anzeigt. Anschließend wird der Kräuterblätterauszug aufgebrüht und dann muss ich eine Vorführung für nächste Woche vorbereiten; das mache ich mit dem Ablaufplan »Kraft-Punkt«, auch aus dem Schreibstube-Paket. Allerdings ist dazu noch zu klären, ob ich den Sichtbar-Strahler ausleihen und direkt vom tragbaren Klapprechner vorführen kann oder alles auf Klarsichtblätter für den Kopfüber-Bildwerfer drucken muss.
Satire gegen Sprachpflege
Ich betrete das Gebäude, halte im Aufzug ein Schwätzchen mit Regierungsoberinspektor Schulze-Lüdenscheid, einem Sportfan, der vom gestrigen Spiel in der Champions League berichtet und nicht vergisst, auf die Übertragung der Regatta um den Admiral’s Cup heute Abend hinzuweisen. Im Büro angekommen, schalte ich den Computer ein und trage meine Ankunftszeit in einen virtuellen Zeiterfassungsbogen des Tabellenkalkulations-Programms »Excel« ein, einer App aus dem Office-Paket der Firma Microsoft. Dann schaue ich, ob das Programm »Outlook« neue elektronische Post anzeigt. Anschließend wird der Tee aufgebrüht und dann muss ich eine Präsentation für nächste Woche vorbereiten; das mache ich mit dem Programm »PowerPoint«, auch aus dem Office-Paket. Allerdings ist dazu noch zu klären, ob ich den Beamer ausleihen und direkt vom Notebook vorführen kann oder alles auf Folien für den Overhead-Projektor drucken muss.