Sobald sich die Behörde dem Bürger hoheitlich nähert, »ergeht ein Bescheid«.
Der Bescheid ist die im Verwaltungsverfahrensgesetz geregelte Form des schriftlichen »Verwaltungsaktes«,
also des förmlichen Schriftverkehrs der Behörden.
Erkenntnisse:
Vor etlichen Jahren durfte ich bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Arbeitsgruppe (Qualitätszirkel) moderieren, die sich mit der Qualität der Bescheide dieser an ordnungsbehördlichen Aufgaben vielfältigen Verwaltung beschäftigte.
Dabei heraus gekommen ist ein Leitfaden, den die Arbeitsgruppe einvernehmlich als »öffentlich« deklarierte, weshalb ich diese Ergebnisse – ergänzt um einschlägige Kursunterlagen – auch hier zur allgemeinen Nutzung publiziere. Das nachfolgende PDF ist die Kurzfassung, auch als Poster für die »Amtsstube« geeignet.
Das Verwaltungsverfahrensgesetz gibt einige Mindestanforderungen an Bescheide und ihren Aufbau vor, die hier in gestraffter Form aufgelistet sind:
Die Nummerierung ist wichtig; in dieser Reihenfolge sollte ein Bescheid aufgebaut sein.
Anmerkung:
Seltsamerweise sind nicht alle Behörden an diese Vorgaben des VwVfG gebunden, zum Beispiel die Finanzbehörden, obwohl gerade deren Bescheiden ein wenig Struktur gut täte. So beginnen Steuerbescheide stets mit Nebenbestimmungen anstatt mit dem Tenor.
Der Bescheid muss alle Informationen enthalten, die dem Empfänger ein Nachvollziehen ermöglichen:
Sonstige Aspekte
Hier habe ich einige Bescheide zusammengetragen, die als Anregung wie auch als Abschreckung dienen können.
Textlich und stilistisch gibt es an diesem Bescheid nur wenig auszusetzen. Aber die Details sind bedenklich (Liste rechts)
Es handelt sich bei fast allen Beanstandungen „nur« um Kleinigkeiten, doch sie wären samt und sonders ohne Aufwand vermeidbar gewesen und werten in diesem geballten Auftreten den Bescheid total ab.
Besonders krass erscheinen Steuerbescheide, zum einen ihres fachsprachlichen Kauderwelschs wegen, den kaum ein Empfänger versteht, andererseits auch wegen des Aufbaus und der Optik, die jeden Typographen ins Kissen beißen lässt.
Das folgende Beispiel habe ich in einzelne Blöcke zerlegt, um den Zusammenhang zwischen Bescheid und Kommentar zu wahren.
Vorbemerkung: Die nun folgenden Beanstandungen mögen Ihnen teilweise kleinkariert vorkommen. Doch in der Summe machen auch bei diesem Beispiel die vielen kleinen und großen Unzulänglichkeiten—teilweise sogar Verstöße
gegen Grundsätze des Verwaltungsrechts—das aus, was zur Missstimmung des Bürgers gegenüber dem Amt führt. Bedenken Sie bitte: Jede dieser Unzu-
länglichkeiten hätte sich ohne nennenswerten Aufwand vermeiden lassen! Warum also hat man sie nicht vermieden? Gedankenlosigkeit? Betriebsblindheit? Obrigkeitsdenken?
1. Zu einem Behördenbrief gehört „anständiger« Briefkopf. Es ist heute nicht mehr aktueller Stand der Technik, in dieser Form vom ‑Corporate Design« abzuweichen. Zumindest das und eine annähernd der Vorgabe-Kopfschrift entsprechende Schrift sind immer technisch möglich.
Die seltsame »Treppe« im Kommunikationsblock ist vermutlich auf Desinteresse des Entwicklers beim Gestalten zurückzuführen.
Es ist deutlich erkennbar, dass das Schreiben mit einem Laserdrucker erstellt wurde. deshalb hätte eine besser lesbare Schrift als diese Emulation eines Kettendruckers benutzt werden können. Für das Wort »Bescheid« hat man es schließlich auch geschafft, eine proportionale Schrift zu nehmen, allerdings schlecht ausgerichtet.
2. Die Überschrift trifft nicht zu. Ein »Bescheid über die Einkommensteuer etc.« war bereits ergangen; es fehlt ein Hinweis, dass es sich um einen korrigierten Bescheid auf Grund eines Einspruchs handelt.
3. Es fehlt eine Anrede. Wer hindert eigentlich die Ämter daran, höflich mit den Bürgern umzugehen?
Der Empfänger erfährt zunächst nichts den Anlass des Bescheids. Eine Festsetzung war vor einigen Wochen erfolgt. Handelt es sich hierbei um eine Neufestsetzung? Wenn ja, warum wird das nicht deutlich gesagt? Der einführende Satz »Der Bescheid ist nach 5 172 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert.« ist eher irritierend denn hilfreich: da ein Verweis fehlt, kann eigentlich nur der vorliegende Bescheid gemeint sein. Oder welcher sonst? Der, den Einspruch erhoben wurde?
Der Hinweis auf die teilweise Vorläufigkeit gehört nicht in den Tenor, sondern ist eine Nebenbestimmung.
Die zweimal zitierte Rechtsquelle »AO« wird weder langtextlich eingeführt, noch ist eine Fundstelle angegeben oder gar der Inhalt der bezogenen Paragrafen.
4. Welchen Sinn macht die „tabellarische« Darstellung der Euro-Ausweisung? Fließtext täte es auch und würde den Bescheid nicht optisch zergliedern. (Gibt es eigentlich eine kaufmännische Rundung auch außerhalb EG-Rechts? Und falls ja, wie unterscheidet sich diese von der genannten?)
5. In Verbindung mit der Erkenntnis, dass ein Guthaben besteht, ist dieser Textbaustein überflüssig. Da haben die Problemanalytiker wieder mal die Plausi-Prüfung vergessen.
6. Am Ende der ersten Seite weiß der Empfänger immer noch nichts über den Anlass des Bescheids.
7. Ein Zahlenwust über fast die gesamte Seite! Eine ähnliche Auflistung hat der Empfänger vor geraumer Zeit schon erhalten. An dem neuen Bescheid ist nicht erkennbar, welche Zahlen gegenüber dem Ursprungsbescheid geändert worden sind und warum.
Die mehrfach zitierte Rechtsquelle »EStG« wird weder langtextlich eingeführt,
noch ist eine Fundstelle angegeben oder gar der Inhalt der bezogenen Paragra-
fen erläutert. (Mehraufwand: wie zu Tz. 3)
Derartige Auflistungen stören den Lesefluss erheblich, tragen aber nichts zur Verständlichkeit des Bescheids an sich bei. Warum werden solche Zahlenkolonnen nicht ausgegliedert und im Tenor nur die Ergebnisse zitiert? Negative Rechtsfolgen sind nicht zu befürchten, wenn im Bescheid ausdrücklich auf die Anlage verwiesen wird.
8. Endlich! Nach fast zwei Seiten Hintergrundinformation kommt die eigentlich wesentliche Aussage: Dieser Bescheid ist ein Änderungsbescheid und die Reaktion auf ein Rechtsmittel.
Der Tenor steht in diesem Bescheid also am Ende der zur Begründung gehörenden Berechnung in den Erläuterungen! Auch wenn das VwVfG in Steuerverfahren nicht unmittelbar gilt, ist diese Ausweisung doch zumindest bedenklich.
Die Einschätzung, ob mit diesem Bescheid dem Anliegen des Empfängers wirklich entsprochen wurde, sollte man diesem aber bitte selbst überlassen. So wie im Bescheid ausgedrückt, stellt das eine Anmaßung der (obrigkeitlich denkenden) Behörde dar. Nach der Systematik des Verwaltungsaktes ist diese Aussage hier völlig fehl platziert, auch sie gehört entweder in den Tenor, also an den Anfang des Bescheides (wo sie dem Rechtsmittel unterliegt!) oder als Hinweis an das Ende des Bescheids (wo sie unschädlich ist).
Ein paar Worte mehr in der Sache an sich wären sinnvoller: Die bloße Neuberechnung stellt keine ausreichende Begründung dar. Über konkrete Angaben würde sich der Empfänger sicher freuen, noch mehr noch über eine Entschuldigung für den fehlerhaften ersten Bescheid oder wenigstens eine Erklärung, warum der erste Bescheid fehlerhaft war und was beide Seiten tun können, um so etwas beim nächsten Mal zu vermeiden.
9. In der Begründung taucht ein Verfahrenshinweis zu der teilweisen Vorläufigkeit auf. Was hat der in der Begründung zu suchen? Der gehört entweder in die ergänzenden Hinweise nach der
Rechtsbehelfsbelehrung oder unmittelbar zur Erklärung der Vorläufigkeit (Nebenbestimmung).
Auch der freundliche Hinweis, dass der Steuerbescheid ein Einkommensnachweis ist, ist hier fehl am Platz, er gehört nun auf jeden Fall ganz nach hinten.
10. Die dritte Seite des Bescheids ist nun der satztechnische Knüller schlechthin. Zweispaltigkeit ist der Lesbarkeit ja dienlich, doch aber bitte nicht mit mäandernden Textabschnitten.
11. Die verschiedenen Alternativen für die konfessionell unterschiedlichen Rechtsmittel gehen im Fließtext unter. Der Text müsste besser strukturiert werden oder zumindest durch Blickfänger zur richtigen Textstelle führen.
Noch besser wäre natürlich, wenn nur die zutreffenden konfessionellen Hinweise abgedruckt würden. Da die Konfession bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt wird, ist hier lediglich ein bedingter Bausteineinzug erforderlich. (Mehraufwand: eine Zeile
beim Coding des Verfahrens; aber: Papiereinsparung zu Gunsten der Rechtsquellenzitate)
12. Diese Hinweise treffen im Falle des Guthaben-Bescheides nicht zu. Im Zeitalter modemer Datentechnik – und die gibt es auch bei den Finanzbehörden mittlerweile – kann der Bürger erwarten, dass die Textbausteine eines Bescheides korrekt auf den Einzelfall bezogen selektiert werden. (Mehraufwand: eine Zeile
beim Coding des Verfahrens; aber: Papiereinsparung zu Gunsten der Rechtsquellenzitate, aber das sagte ich wohl bereits)
13. Was ist das denn bitte? Ein Siegel etwa? Soll wohl so was ähnliches sein, um der ansonsten nicht sehr amtlich wirkenden Massendrucksache einen offiziellen Charakter zu verleihen. Eine Unterschrift, eingeleitet mit freundlichen Grüßen, wäre aber sicher zutreffender an dieser Stelle und entspräche auch mehr den Gepflogenheiten der Korrespondenz. Während es sich eine Versicherung leisten kann, selbst lapidarste Mitteilungen mit zweimal ppa. unterschreiben zu lassen (na gut, Faksimile, aber immerhin erkennt man den guten Willen), greift „Vater Staat« seinen Bürgern ohne Unterschrift mal eben in die Tasche.
Und so könnte derselbe Steuerbescheid aussehen:
1 Ergänzung zwecks Anpassung an die technische Entwicklung (Stand 2024):
Nahezu jeder Bürger besitzt heutzutage ein Smartphone, mit dem QR-Codes gelesen werden können.
Erstellen Sie Barcodes der Webseiten mit den von Ihnen zu zitierenden Vorschriften und fügen Sie die dem Text an. So ist der Empfänger in der Lage, auf die aktuelle Fassung der herangezogenen Vorschrift zuzugreifen und Sie ersparen sich das Anfügen der Vorschriften im Volltext.
Jeder Browser besitzt eine Funktion zur Erstellung eines QR-Codes zur aktuellen Seite, der sich per Zwischenablage in Ihr Dokument einfügen lässt, hier am Beispiel Microsoft Edge: