Exkulpation
Es gibt einen sehr banalen Grund, Amtssprache zu benutzen: Man kann sich bzw. die eigene Inkompetenz und Fehler gut dahinter verstecken. Durch die Verwendung komplizierter Fachausdrücke und ungewöhnlicher Redewendungen wird der Empfänger in die Defensive gedrängt. Er versteht nicht, worum es geht, erkennt aber nicht, dass auch der Absender gar nichts verstanden hat.
Und natürlich eignet sich diese Methode auch hervorragend dazu, Fehler zu kaschieren. Der Betroffene beschwert sich über eine Amtshandlung, erhält daraufhin einen Bescheid, in dem ihm zwar Recht gegeben wird, doch in einer Form, dass er gar nicht auf die Idee kommen kann, die erste Maßnahme wäre falsch gewesen. Man muss es halt nur richtig formulieren.
In der Strafsache gegen … hat das Gericht nunmehr festgestellt, dass Sie nicht der zutreffende Angeklagte sind. Der Fehler ist durch eine Namensverwechselung beim Amtgericht Leer zum Aktenzeichen … entstanden, wo Sie wegen Unterhaltspflichtverletzung angeklagt waren.
aus einem Einstellungsbescheid des Amtsgerichts Oldenburg (Oldb)
Zur Formulierung »nicht der zutreffende Angeklagte« gibt es im Abschnitt Semantik zum Stichwort »Falscher Angeklagter oder fälschlich angeklagt?« noch etwas zu lesen. Zum Stichwort Exkulpation sind »hat das Gericht nunmehr festgestellt« und der zweite Satz interessant.
Der erste Satz ist falsch – wie in den meisten ähnlich gelagerten Fällen: Das Gericht oder die Behörde hatte einen Fehler gemacht, der vom Betroffenen festgestellt und mitgeteilt wurde.
Statt sich nun für den Fehler zu entschuldigen, wird das Feststellen des Fehlers als eigene Leistung ausgegeben. Im zitierten Fall kommen noch zwei weitere Aspekte hinzu: Da wäre zunächst das Abwälzen der Schuld auf eine andere Behörde. Es wird so dargestellt, als hätte das AG Leer den Fehler verursacht, was tatsächlich jedoch nicht zutrifft. Aus der Gesamtdarstellung des Falles ist zu erkennen, dass das AG Leer seinen ursprünglichen Fehler bereits bereinigt hatte – selbstverständlich auch erst nach der Intervention durch den (falschen) Betroffenen – bevor das AG Oldenburg in derselben Sache Klage erhob. (Akten‑)Lesen bildet!
Mal ein praktisches und tröstendes Beispiel aus Versicherungskreisen, denn nicht nur der öffentliche Dienst formuliert unverständlich und versucht, uns ins Bockshorn zu jagen; Banken, Versicherungen und »die Wirtschaft« machen es nicht besser.
Der Fall: Herr Dingskirchen hatte am 14.09. ein neues Auto angemeldet und sein altes am 20.09. verkauft und abgemeldet, deshalb gab es eine Überschneidung von einer Woche, in der Herr D. zwei Autos zu versichern hatte. Die Versicherung berechnete aber mit Bescheid vom 17.11. eine Überschneidungszeit bis zum 12.10. Dagegen hatte sich Herr D. gewehrt und erhielt nun eine Antwort:
Kraftfahrtversicherung
Weiterer Vertrag: 12/076540—B
Sehr geehrter Herr Dingskirchen,
grundsätzlich dürfen zwei Fahrzeuge nicht unter einer Versicherungsscheinnummer versichert werden. Wir mussten deshalb für Ihren PKW/Opel, B‑BB 9999, einen Zweitvertrag unter 12/140976—V erstellen. Infolge der uns eingereichten Erklärung gemäß Tarifbestimmung Nr. 26 Abs. 5 haben wir den Rabatt für Schadenfreiheit ab 14.09.2007 von 12/076540—B auf 12/140976‑V übertragen.
Nach den Tarifbestimmungen ist eine schadenfrei und ununterbrochen verlaufene Versicherungszeit nur einmal anrechenbar. Ihren Vertrag 12/076540—B mussten wir deshalb ab 14.09.2007 in die SF—Klasse 1/2 = 125 % einstufen. Ihr Vertrag 12/076540—B wurde dabei vom 14.09.2007 bis zur nächsten Fälligkeit, dem 12.10.2007, mit den anteilmäßigen Unterschiedsbeitrag von der SF—Klasse 5 = 60 % zur SF—Klasse 1/2 = 125 % = € 76,40 belastet. Dafür wurde aber bei der anschließenden Abrechnung dieses Vertrages zum 20.09.2007 die Gutschrift für die Zeit vom 20.09.2007 bis 10.12.2007 auch aus dem bereits erhöhten Beitragssatz von 125 % in der Haftpflichtversicherung errechnet, so dass sich ein Abrechnungsguthaben von insgesamt € 144,40 ergab.
Wie Sie unseren Ausführungen entnehmen können, wurde also Ihr Vertrag 12/076540—B mit den Nachträgen vom 04.11.2007 und 17.11.2007 ordnungsgemäß und korrekt abgeschlossen. Es ergab sich dadurch ein Guthaben von € 68,00.
Wie eingangs erwähnt, mussten wir für Ihren PKW/Opel, B‑GG 555, unter 12/140976—V einen neuen Vertrag erstellen. Hierfür ist für die Zeit vom 14.09.2007 bis 14.12.2007 unter dem von Ihnen beantragten Deckungsumfang ein Vierteljahresbeitrag von € 125,40 fällig.
Weil wir aber das Guthaben Ihres abgerechneten Vertrages 12/076540‑B von € 68,00 auf 12/140976‑V umgebucht haben, besteht auf dem zuletzt genannten Beitragskonto nur noch ein Saldo zu unseren Gunsten von € 57,4o.
Unsere Beitragsforderung von € 57,40 bitten wir Sie innerhalb der nächsten 14 Tage zu überweisen, damit Ihr Beitragskonto 12/140976—V bis zum 14.12.192007 ausgeglichen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Die Beitragsverrechnung hätte natürlich schon im Schreiben vom 17.11. erledigt werden können, denn zu diesem Zeitpunkt hatten die (automatisch von der Zulassungsstelle übermittelten) Informationen bei der Versicherung längst vorgelegen. Statt diesen Fehler zuzugeben, wird aber verbal herumgeeiert, um ihn mit scheinjuristischen Argumenten zu vertuschen. Die ausführliche Darstellung zur Rabattübertragung ist überflüssig, denn diese Frage war überhaupt nicht strittig. Sie verschleiert lediglich, dass dem Versicherungsnehmer die Abrechnung per 20.09. erst jetzt mitgeteilt wird.
Als Krönung wird noch am Schluss eine offene Rechnung angemahnt, deren Bezahlung von Herrn D. ausgesetzt worden war, bis eine korrekte Verrechnung des Guthabens vorliegt. Das nennt man »gekonnt in die Defensive drängen«.
Das Versicherungsschreiben hätte kürzer und leichter verständlich so gefasst werden können:
Kraftfahrtversicherung
Weiterer Vertrag: 12/076540—B
Sehr geehrter Herr Dingskirchen,
wegen der Überschneidung der Zulassungszeiten hatten wir Ihrem Antrag entsprechend für Ihren PKW B‑BB 999, einen Zweitvertrag unter 12/140976‑V erstellt. Infolge der uns eingereichten Erklärung gemäß Tarifbestimmung Nr. 26 Abs. 5 haben wir den Rabatt für Schadenfreiheit ab 14.09.2007 von 12/076540‑B auf 12/140976‑V übertragen.
Ihren Vertrag 12/076540‑B mussten wir deshalb ab 14.09.2007 in die SF-Klasse 1/2 = 125 % einstufen. Hierfür wurde der anteilmäßige Unterschiedsbeitrag von der SF-Klasse 5 = 60 % zur SF-Klasse 1/2 = 125 % irrtümlich bis zur nächsten Fälligkeit, dem 12.10.2007, statt nur bis zur Ummeldung des Fahrzeuges am 20.09.2007 berechnet.
Die Beendigung des Vertrags 12/076540‑B am 20.09.2007 ergibt für Sie ein Guthaben in Höhe von € 68,00, das wir mit der Prämie von € 125,40 für 12/140976‑V für die Zeit vom 14.09.2007 bis 14.12.2007 verrechnet haben, so dass eine Restforderung von € 57,4o verbleibt. Bitte gleichen Sie diese Forderung innerhalb der nächsten 14 Tage aus.
Die irrtümlich zu hoch errechnete Forderung aus unserem Schreiben vom 17.11.2007 hat sich damit erledigt; wir bitten Sie, dieses Versehen zu entschuldigen.
Mit freundlichen Grüßen
Das Verständnis ließe sich noch mehr erleichtern, wenn die Berechnungen nicht im Fließtext versteckt würden. Die Verrechnung der unterschiedlichen Beiträge ließe sich anhand einer Tabelle noch leichter nachvollziehen, zum Beispiel so:
Aber – wie schon erwähnt – war ja überhaupt nicht beabsichtigt, dem Versicherungsnehmer einen verständlichen Brief zu schreiben.
Noch verständlicher wäre der Brief allerdings, würden nicht permanent diese langen Versicherungsnummern im Text auftauchen. Auch das kann durchaus zur Verwirrtaktik gezählt werden. Mehr dazu in einem weiteren Beitrag.