Symptome
Wodurch zeichnet sich Amtssprache aus?
Hier finden Sie die typischen Kennzeichen von Amtssprache, gesondert nach vier Kategorien. Alle Kategorien enthalten Beispiele mit Erläuterungen und Abhilfevorschlägen, an denen Sie sich für Ihre eigenen Texte orientieren können.
„Dieses Kauderwelsch ist eine Abschottung vor der Normalsprache
des Volkes.“
Norbert Blüm
Amtssprache zeichnet sich aus durch
Es ist verboten, Personen in Aufzügen zu befördern, in denen das Mitfahren von Personen verboten ist.
Diese Bestimmung der Aufzugsverordnung war noch bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts in Kraft; es war an anderer Stelle sogar vorgeschrieben, dass diese Bestimmung in jedem Lastenaufzug zu veröffentlichen war, wodurch sie unverdiente Popularität gewann.
Die Kleinkariertheit mancher Denkweise macht erhebliche Unterschiede zwischen aktiver und passiver Benutzung eines Aufzugs, weshalb das Verbot des aktiven Mitfahrens der Wiederholung für das passive Befördertwerden bedurfte. Dass »Mitfahren« implizit auch das Befördertwerden einschließt, war dem Verfasser und Generationen auf ihn folgender Verwaltungsjuristen einfach nicht aufgefallen.
Andererseits hat sich nie ein Jurist an dem Text der Verbotstafeln »Rauchen und offenes Licht verboten« gestört, obwohl bei ähnlich akribischer Betrachtung unter mathelogischen Gesichtspunkten damit nur das gleichzeitige Rauchen und Verwenden offenen Feuers untersagt ist, beides einzeln jedoch nicht.
Noch verwegener liest sich dieser Urheberrechtshinweis:
Sie sind nicht berechtigt, unrechtmäßige Kopien dieses Datenträgers zu erstellen.
(Aufdruck auf einer Installations-CD)
Erkenntnisse aus diesem Aufdruck: Ich bin nicht berechtigt, unrechtmäßige Kopien zu erstellen. Bin ich aber vielleicht berechtigt, rechtmäßige Kopien zu erstellen.
Es liegt der Schluss nahe, dass es jemand geben muss, der zum Herstellen unrechtmäßiger Kopien befugt ist, denn wenn dazu niemand befugt wäre, müsste man mich, den Leser des Aufdrucks, nicht ausdrücklich darauf hinweisen, dass gerade ich nicht befugt bin. Mit Verlaub: Dieser ganze Aufdruck ist Quatsch und dem Hirn eines übervorsichtigen, aber zu normalen Denkvorgängen nicht mehr fähigen Mitarbeiters im Justitiariat eines Software-Herstellers entsprungen. Diese Branche ist für ihre abenteuerlichen, ja haarsträubenden Urheberrechtsaktivitäten ohnehin bekannt; dieser Satz ist eines von vielen Sahnehäubchen darauf. Aber er zeigt aufs Neue, zu welchen abwegigen Gedankengängen Juristen fähig sind, wenn man ihrer gestalterischen Phantasie keinen Riegel vorschiebt.
Sinnvoll wäre ein Positiv-Hinweis, wie viele Kopien der Erwerber eines solchen Installationsmediums zu welchem Zweck erstellen darf.
Ein ganz großes Kommunikationshemmnis sind die häufigen Passiv-Konstruktionen in amtlichen und juristischen Texten. So als getraute man sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, werden konkrete Aussagen durch Passiva ersetzt. Die in grün dargestellten Verbesserungsvorschläge sprechen den Empfänger direkt an, während die Originalfassung (rot) unverbindlich wirkt.
Folgender Bescheid wird erteilt.
Abzugebende Vorgänge sind stets über den Abteilungsleiter zu leiten.
Ich erteile hierzu folgenden Bescheid.
Leiten Sie alle abzugebenden Vorgänge über die Abteilungsleitung.
Verstärken lässt sich die Passivumschreibung noch, indem mit dem Subjekt »Es« jeglicher Personenbezug aufgehoben wird.
Es ist eine separate Schmutzwasserentsorgung einzurichten.
Es ist für eine ausreichende Absperrung Sorge zu tragen.
Richten Sie eine separate Schmutzwasserentsorgung ein.
Sorgen Sie für eine ausreichende Absperrung.
Wer ist hier wohl gemeint? Fühlt sich der Empfänger eines so formulierten
Schreibens angesprochen, etwas zu unternehmen?
Mit direkter Ansprache kommen überhaupt keine Zweifel auf.
… wird gemäß §§ 2, 3, 5, 7, 7a und 34 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG) in der Fassung vom 12. November 1996 (BGBl.I S. 1695), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 25. August 1998 (BGBl.I S. 2455), in Verbindung mit §§ 14 und 16 des Berliner Wassergesetzes (BWG) in der Fassung vom 3. März 1989 (GVBL. S. 605), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Oktober 1995 (GVBl. S. 695), die wasserbehördliche Erlaubnis erteilt.
Solche verschraubten Formulierungen resultieren aus der Tatsache, dass man in den zuständigen Verwaltungen zu bequem ist, bei der Änderung einer Vorschrift diese im vollständigen neuen Wortlaut zu veröffentlichen, sondern statt dessen Juristen-Patchwork kreiert: »In § 31 Abs. 2 Satz 2 entfällt der zweite Halbsatz.« Für das Verfahren bis zum Erlass der Vorschrift mag das ja noch angehen, da bleiben diese Leute ja im Wesentlichen unter sich. Aber spätestens bei Verabschiedung einer Vorschrift gebietet es die Bürgernähe, einen neuen Volltext zu veröffentlichen.
Der Wetterbericht ist ja auch jedes Mal wieder vollständig, es wird nie gesagt:
»Das Wetter wird morgen wie gestern, nur in der Priegnitz zwei Grad weniger, dafür erhöht sich in der Lausitz die Niederschlagswahrscheinlichkeit um 12%.«
Es bestand schon immer ein dringender Bedarf an Volltext-Neufassungen, wie die florierenden Umsätze der einschlägigen Verlage zeigten. Glücklicherweise gibt es inzwischen das Internet, in dem Vorschriften in jeweils aktueller Form bereitgestellt werden. Statt aber auf diese zu verweisen (oder auszugsweise beizufügen), wird dem Empfänger solch ein Geschwurbel vorgesetzt.
Die Krönung dieser Vorgehensweise ist die Art, wie solche – teils mehrfach – geänderten Vorschriften in Bescheiden zitiert werden. Man bezieht sich auf die Urfassung, schreibt aber gleich noch dazu, dass man wiederum doch nicht die Urfassung meint, sondern die geänderte Fassung. Dieser sprachliche Widerspruch wird seit Jahrhunderten von allen Behörden und Juristen praktiziert, ohne dass irgendjemand das falsch findet – schon erstaunlich. Unberücksichtigt bleibt auch, ob die zitierte Änderung sich auf diesen Bescheid auswirkt oder nicht. Und ein weiterer wichtiger Sachverhalt wird überhaupt nicht erwähnt: Gab es zwischen dem Erlass der Ur-Vorschrift und der angegebenen »letzten« Änderung weitere Änderungen? Wenn ja, warum gibt man die nicht auch an? Vielleicht waren in denen ja eher fallrelevante Änderungen enthalten als in der zitierten letzten Änderung.
Egal wie detailliert die Rechtshistorie dargestellt wird, bürgernah ist das in keinem Fall. Dem Empfänger eines Bescheides ist keinesfalls zuzumuten, sich durch diesen Verweise-Verhau durchzukämpfen, erst recht nicht im Fließtext (der damit das Attribut fließend keinesfalls mehr verdient). Wesentlich einfacher und sinnvoller für alle Seiten ist es, dem Bescheid die bezogenen Rechtsquellen im Volltext beizufügen, was im Zeitalter der Textbausteine gar keinen Aufwand mehr bedeutet. Im Bescheidtext tritt dann nur noch eine Formulierung auf wie:
… erteile ich gemäß §§ 2, 3, 5, 7, 7a und 34 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG) in Verbindung mit §§ 14 und 16 des Berliner Wassergesetzes (BWG) die wasserbehördliche Erlaubnis. (Den Wortlaut der zitierten Rechtvorschriften habe ich diesem Bescheid beigefügt.)
Manche Zeitgenossen machen sich ja noch einen Spaß daraus, harmlose Bürger zu irritieren. Den Vogel abgeschossen hat meiner Meinung nach ein Komiker am Volkstheater Karl-Nüschel-Stadt (oder war es etwa doch ein Richter am Landesarbeitsgericht Chemnitz am 06.04.1993 zum Az: 1 Sa 10/93?) mit dieser Urteilsbegründung von 368 Wörtern in einem Satz!
In Anbetracht dessen, daß die am 25.10.1939 geborene, geschiedene Klägerin seit Oktober 1966 bei der Beklagten als Hortnerin tätig war, ihr am 31.03.1992 zum 30.09.1992 mit Wirkung ab 01.10.1992 eine Änderungskündigung mit dem Angebot einer Weiterbeschäftigung mit 30 Wochenstunden ausgesprochen wurde, sie dies nur unter Vorbehalt annahm, und am 14.04.1992 hiergegen Klage erhob, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß gehört sei sowie die Sozialauswahl falsch sei, sie demgemäß beantragt hat, die Änderungskündigung für ungerechtfertigt zu erklären und Abweisung der Klage von der Beklagten beantragt worden ist, weil die Zahl der zu betreuenden Kinder von 35 auf 20 gesunken sei und entweder eine Hortnerin hätte entlassen werden oder beide auf 30 Stunden hätten herabgesetzt werden müssen und das im Einverständnis des Personalrats geschehen sei, die Beklagte am 12.01.1993 Berufung gegen das am 23.12.1992 zugestellte, der Klage wegen unzureichenden Vortrags zur Anhörung des Personalrats stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt und am 11.02.1993 – nach Verlängerung der Frist bis zum 12.03.1993 – begründet hat unter Wiederholung ihres Vorbringens nunmehr beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils, die Klage abzuweisen und Zurückweisung der Berufung von der Klägerin beantragt wird, weil die Sozialauswahl falsch sei, da sie ältere Rechte als die erst seit 13 Jahren beschäftigte 32 Jahre alte Kollegin habe, war nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Personalrätin Zeugin B zu entscheiden, daß die Klage unbegründet ist, nachdem auf Grund der Beweisaufnahme feststeht, daß die Personalratsanhörung rechtzeitig, vollständig und deshalb ordnungsgemäß war, der starke Rückgang der Kinderzahl eine Herabsetzung der Betreuungskräfte auch aus Kostengründen erforderlich machte und nach der Bedarfskündigungsregelung des Einigungsvertrages Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 2 bis zum 31.12.1993 eine Herabsetzung der Arbeitskräfte im öffentlichen Dienst erleichtert möglich ist, diese Regelung auch für die Änderungskündigung gilt und § 1 KSchG ersetzt sowie eine gleichmäßige Herabsetzung der Arbeitszeit für beide Hortnerinnen einer vernünftigen Auswahl und Regelung entspricht, zumal die Klägerin zwar älter und länger beschäftigt, die Kollegin aber verheiratet ist und zwei Kinder hat, so daß unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage mit der Kostenfolge des 91 ZPO abzuweisen und die Revision nicht zuzulassen war, da es sich um einen besonders gelagerten Einzelfall handelt, und folglich nur auf die Nichtzulassungsbeschwerde des § 72 a ArbGG hinzuweisen ist.
Auch der Gesetzgeber hält sich mit Satzlängen nicht zurück, wobei zugute zu halten sein muss, dass diese Fassung des § 2 Abs. 3 EStG aus dem Jahr 2002 wohl doch auf dem Mist der Ministerialbürokratie gewachsen sein dürfte, aber auch dort sind ja Juristen zugange.
Die Summe der Einkünfte, vermindert um den Altersentlastungsbetrag und den Abzug nach § 13 Abs. 3, ist der Gesamtbetrag der Einkünfte. Bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte sind zunächst jeweils die Summen der Einkünfte aus jeder Einkunftsart, dann die Summe der positiven Einkünfte zu ermitteln. Die Summe der positiven Einkünfte ist, soweit sie den Betrag von 51.500 Euro übersteigt, durch negative Summen der Einkünfte aus anderen Einkunftsarten nur bis zur Hälfte zu mindern. Die Minderung ist in dem Verhältnis vorzunehmen, in dem die positiven Summen der Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten zur Summe der positiven Einkünfte stehen. Übersteigt die Summe der negativen Einkünfte den nach Satz 3 ausgleichsfähigen Betrag, sind die negativen Summen der Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten in dem Verhältnis zu berücksichtigen, in dem sie zur Summe der negativen Einkünfte stehen. Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen veranlagt werden, sind nicht nach den Sätzen 2 bis 5 ausgeglichene negative Einkünfte des einen Ehegatten dem anderen Ehegatten zuzurechnen, soweit sie bei diesem nach den Sätzen 2 bis 5 ausgeglichen werden können; können negative Einkünfte des einen Ehegatten bei dem anderen Ehegatten zu weniger als 51.500 Euro ausgeglichen werden, sind die positiven Einkünfte des einen Ehegatten über die Sätze 2 bis 5 hinaus um den Unterschiedsbetrag bis zu einem Höchstbetrag von 51.500 Euro durch die noch nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte dieses Ehegatten zu mindern, soweit der Betrag der Minderungen bei beiden Ehegatten nach den Sätzen 3 bis 6 den Betrag von 103.000 Euro zuzüglich der Hälfte des den Betrag von 103.000 Euro übersteigenden Teils der zusammengefaßten Summe der positiven Einkünfte beider Ehegatten nicht übersteigt. Können negative Einkünfte des einen Ehegatten bei ihm nach Satz 3 zu weniger als 51.500 Euro ausgeglichen werden, sind die positiven Einkünfte des anderen Ehegatten über die Sätze 2 bis 6 hinaus um den Unterschiedsbetrag bis zu einem Höchstbetrag von 51.500 Euro durch die noch nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte des einen Ehegatten zu mindern, soweit der Betrag der Minderungen bei beiden Ehegatten nach den Sätzen 3 bis 7 den Betrag von 103.000 Euro zuzüglich der Hälfte des den Betrag von 103.000 Euro übersteigenden Teils der zusammengefaßten Summe der positiven Einkünfte beider Ehegatten nicht übersteigt. Die Sätze 4 und 5 gelten entsprechend.
Wie erwähnt, handelt es sich um nur einen Absatz eines Paragraphen. Der in diesem Zitat kursiv gesetzte Satz ist 134 Wörter lang und wird auch durch das eingestreute Semikolon nicht lesbarer. Überhaupt erschließt sich diese Vorschrift selbst dem versierteren Leser kaum.
Der folgende Diskussionsbeitrag sagt eigentlich alles:
»Warum wird die Steuergesetzgebung immer in so umständliches Amtsdeutsch gefasst, anstatt gleich in die mathematischen Formeln, die dann später tatsächlich zur Anwendung kommen? Das Amtsdeutsch verstehen nur Fachleute, die mathematischen Formeln auch. Allerdings dürften diejenigen, die die mathematischen Formeln besser interpretieren können als die Gesetzestexte, in der Mehrheit sein. Mathematik lernt man in der Schule; Amtsdeutsch allerdings nicht.«
Eine der stärksten Auffälligkeiten in Schriftstücken von Behörden sind (zu) lange Sätze. Es wird versucht, möglichst viel in einen Satz hinein zu legen, statt ihn in mehrere Sätze aufzuteilen. Es gibt auch Fälle, in denen eine Aufteilung nicht möglich ist, weil mehrere Kausalitäten innerhalb eines Satzes zu einer Folgerung führen. Dann muss aber darauf geachtet werden, eine verständliche, logische Struktur aus Nebensätzen zu konstruieren. Dabei kann selbstverständlich der Text insgesamt länger werden, doch für das Verstehen sind die Satzlänge und die Komplexität der verschachtelten Nebensätze bedeutend.
Mit zunehmender Länge werden die Sätze immer unverständlicher. Die Gesetzes- und Amtssprache allerdings verwendet gern überlange Sätze. Zwar hat sich seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die durchschnittliche Satzlänge deutscher Gesetze von fast 90 Wörtern pro Satz auf ca. 30 verringert, doch steigt dieser Wert in den letzten Jahrzehnten wieder an.
Ein Vergleich mit deutschen Texten anderer Herkunft zeigt, dass Gesetze mit Abstand die längsten Sätze haben. Aktuelle Erzählprosa kommt auf durchschnittlich 22 Wörter pro Satz, wissenschaftliche Texte liegen knapp darunter. Eine Stichprobe aus unterschiedlichen Zeitungen zeigte dort eine durchschnittliche Satzlänge von 16,6 Wörtern, selbst „anspruchsvolle“ Zeitungen kommen nicht über 20 Wörter.
In langen Sätzen kommt noch als weiteres Leseerschwernis hinzu, dass zusammengesetzte Verben oder Substantiv und zugehöriges Verb durch Zusatzinformationen und Bedingungen auseinander gerissen werden. Diese in der deutschen Sprache an sich üblichen und unschädlichen Methoden geraten zum Fiasko, wenn zwischen beiden Teilen mehrere Textzeilen stehen und dem Leser beim Erreichen der zweiten Hälfte der Wortfolge der Satzanfang gar nicht mehr präsent ist. (Mark Twain hat das in seinem Essay über die schreckliche deutsche Sprache mit »… und dann, endlich, folgt das Verb!« sehr schön persifliert.) Ein deutliches Beispiel bietet Artikel 95 Abs. 5 des Vertrags von Amsterdam:
»Unbeschadet des Absatzes 4 teilt ein Mitgliedstaat, der es nach dem Erlaß einer Harmonisierungsmaßnahme durch den Rat oder die Kommission für erforderlich hält, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt aufgrund eines spezifischen Problems für diesen Mitgliedstaat, einzuführen, die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission mit.«
Dieser Satz umfasst 59 Wörter; zwischen den Bestandteilen des auseinander gerissenen Verbs »mitteilen« am Beginn und am Ende des Satzes stehen 53 Wörter. Auch der Abstand zwischen dem Objekt »Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt« und dem zugehörigen Verb »einzuführen« ist durch die eingeschobene Begründung zu lang.
Die Bestimmung ließe sich auch so formulieren:
»Hält es ein Mitgliedsstaat nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme durch den Rat oder die Kommission für erforderlich, einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt einzuführen, die auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sind und ein spezifisches Problem dieses Staates lösen, so teilt er die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission mit. Absatz 4 bleibt hiervon unberührt.«
Der erste Satz hat zwar immer noch 49 Wörter, weil sich die Bedingungen nicht auf mehrere Sätze verteilen ließen, doch die Halbsätze sind nicht mehr verschachtelt und der logische Aufbau erschließt den Inhalt besser. Zwar ist die vorher geschlossen stehende Formel „für erforderlich hält“ im Verbesserungsvorschlag getrennt, dennoch ist der Satz verständlicher, weil vor dem Aufbrechen einer weiteren Wortverbindung die letzte wieder geschlossen wird; außerdem sind die Bestandteile der anderen beiden Formeln näher zusammen gerückt.
Das folgende Beispiel zeigt, wie man das Verschachteln eines Satzes auch auf engstem Raum hinbekommt:
Die Erklärung ist neben dem Wahlumschlag in den an den Wahlvorstand adressierten Freiumschlag zu legen.
Die Erklärung ist zusammen mit dem Wahlumschlag in den Freiumschlag zu legen, der an den Wahlvorstand adressiert ist.
Durch den Nebensatz wird dieser eigenwillige Satz zwar etwas länger, er kommt aber der Verständlichkeit sehr zu Gute.
Angeblich aus der Bahnpostordnung stammend, erheitert diese Fake-Vorschrift schon seit Jahrzehnten alle, die sich mit Amtssprache beschäftigen.
In Dienstanfängerkreisen kommen immer wieder Verwechselungen der Begriffe Wertsack, Wertbeutel, Versackbeutel und Wertpaketsack vor. Um diesem Übel abzuhelfen, ist das folgende Merkblatt dem § 49 der ADA vorzuheften:
Der Wertsack ist ein Beutel, der aufgrund seiner besonderen Verwendung im Postbeförderungsdienst nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die zur Bezeichnung des Wertsacks verwendete Wertbeutelfahne auch bei einem Wertsack als Wertbeutelfahne bezeichnet wird und nicht Wertsackfahne, Wertsackbeutelfahne oder Wertbeutelsackfahne.
Sollte es sich bei der Inhaltsfeststellung eines Wertsackes herausstellen, daß ein in einem Wertsack versackter Versackbeutel statt im Wertsack in einem der im Wertsack versackten Wertbeutel hätte versackt werden müssen, so ist die zuständige Versackstelle unverzüglich zu benachrichtigen.
Nach seiner Entleerung wird der Wertsack wieder zu einem Beutel und ist bei der Beutelzählung nicht als Sack, sondern als Beutel zu zählen.
Verwechselungen zwischen Wertsack und Wertpaketsack sind völlig ausgeschlossen, weil ein mit »Wertsack« beschrifteter Beutel kein Wertsack, sondern ein Wertpaketsack ist, während ein Wertsack keine abweichende Beutelbeschriftung trägt. Deshalb ist es auch strikt untersagt, einen mit »Wertsack« beschrifteten Wertpaketsack als Wertsack zu benutzen.
Amtssprache zeichnet sich aus durch
Wie jede Fachsprache verwendet die Verwaltungssprache ihre »gruppenspezifischen Wortverbindungsregeln«. Da der angesprochene Bürger aber meist nicht Mitglied der sozialen Gruppe ist, die diesen Soziolekt versteht und nutzt, kennt der Leser von Verwaltungs- und Gerichtsschreiben zwar häufig alle Wörter und meint ihre Bedeutung zu verstehen, ist aber dennoch nicht in der Lage, den Sinn des Ganzen zu erfassen.
Das Verständnis der Verwaltungssprache wird vor allem dadurch erschwert, dass die Wörter der Alltagssprache im bürokratischen Code eine besondere, für den darin ungeübten Leser gelegentlich überraschende Bedeutung erhalten; in einigen Fällen sind die Fachtermini sogar in ihrer konkreten Wortgestalt ungewohnt, also Wortneuschöpfungen aus alltagssprachlich bekannten Wortstämmen, ohne allerdings die gemeinen Bedeutungen zu transportieren.
Die wichtigste Quelle für die Bedeutungsverleihung im Rahmen der Verwaltungssprache ist zweifellos die juristische Sprache, d.h. die Sprache der Gesetzestexte und ihrer Auslegung. Alles Verwaltungshandeln vollzieht sich im Rahmen der Rechtsordnung und dient ihrer Erhaltung. Dieser grundlegende Bezug der Verwaltung auf das Recht drückt sich auch in der Sprache aus. Vom juristischen Code ist wiederum bekannt, dass er dem nicht einschlägig vorgebildeten Bürger nur schwer zugänglich ist. Für die Verwaltung bedeutet dieses: Wenn sich ein Beamter oder Verwaltungsangestellter als bloßer Rechtsanwender sieht, neigt er zu einer starren, wenig empfängerorientierten Amtssprache.
Eigentliche Aufgabe des Amtsinhabers ist die Vermittlung zwischen dem gesetzten Recht und den davon betroffenen Bürgern.
Gerichte müssen Recht sprechen. Sie sollten dies in einer Sprache tun, die der Rechtssuchende auch versteht.
Ein »Klassiker« der unverständlichen und umständlichen Sprache ist dieses Beispiel, das sich mit verständlichen und genauen Anweisungen beschäftigt, aber selbst eben diesem Anspruch total zuwiderhandelt.
… schickt es einen Gebührenbescheid. Das ist die amtliche Form, etwas in Rechnung zu stellen. Wer nicht so häufig mit kostenpflichtigen Amtshandlungen in Berührung kommt, erkennt dieses Synonym Rechnung/Gebührenbescheid aber vielleicht nicht. Geschäftsleute sind es gewohnt, auf explizit als »Rechnung« deklarierte Zahlungsaufforderungen zu reagieren, und verstehen es gar nicht, wenn sie auf Grund eines nicht beglichenen Gebührenbescheids gemahnt werden, obwohl gar keine Rechnung vorausgegangen war.
Abhilfe: Keine Vorschrift verbietet Ihnen, die Überschrift eines Gebührenbescheids um den Klammervermerk »(Rechnung)« zu ergänzen – also tun Sie es doch einfach!
Jursitische und amtliche Texte wimmeln vor Abkürzungen. Das erleichtert gewiss das Schreiben, das Lesen wird aber erschwert!
(Ein Test: Wissen Sie um die Bedeutung von 2L8, GiDF, IMHO, YMMD, FUP2? Den Unterschied zwischen AFAIK und AFAIR? Das alles ist Netzjargon; Sie sind hier im Netz, freiwillig. Der Bürger aber wird von Ihren Schreiben ungewollt heimgesucht!)
Deshalb sollte auf Abkürzungen immer dann verzichtet werden, wenn sie nicht allgemeiner Sprachgebrauch sind, wie jene hier:
Im Amtsdeutsch (Oder sollte man besser »Kanzleideutsch« sagen? Das Phänomen des Substantivierens von Verben stammt schließlich aus der Juristensprache.) treten immer mehr falsche Substantive auf. Falsch deshalb, weil es sich von der Aussage her um Verben handelt, die aber – meist durch Anhängen der Endung ‑ung – in Substantive umgeformt werden. Verschlimmert wird das dann noch, indem mehrere Substantive als Genitivkette aneinandergehängt werden, anstatt die zugrunde liegenden Verben zu verwenden.
1Maßnahmen zur 2Gewährleistung der 3Anwendung des 4Grundsatzes der 5Chancengleichheit
besser:
Maßnahmen, die gewährleisten, dass der Grundsatz der Chancengleichheit angewendet wird
noch besser, weil auch »Maßnahmen« meist nur als Füllwort auftritt:
gewährleisten, dass der Grundsatz der Chancengleichheit angewendet wird
und noch besser:
gewährleisten, dass die Chancengleichheit gewahrt wird
80 % der Substantive waren entbehrlich!
»-ung-Wörter« zeigen in sich bereits, dass sie keine gewachsenen Wörter, sondern Konstrukte sind.
Ein guter Indikator für Substantivismus ist auch das Wort »erfolgt«. In seiner Nähe ist fast immer ein falsches Substantiv zu finden. Schreiben Sie also z. B. »genehmigen« statt »erfolgt Genehmigung« oder »zustimmen« statt »erfolgt Zustimmung«, schon ist dieses Problem gelöst.
Allerdings verbreiten sich ‑ung-Wörter rasant, wie die Statistik beweist: Im 19. Jhdt. war jedes zehnte Substantiv im deutschen Wortschatz ein ‑ung-Abstraktum, in der ersten Hälfte des 20. Jhdt. war es bereits jedes fünfte, mittlerweile ist es jedes vierte, Tendenz steigend! Überhaupt hat sich die Zahl der Substantive hat in den letzten 200 Jahren von rd. 21% auf rd. 30% erhöht.
Zu diesem Symptom ein konkretes Beispiel aus einem Bescheid:
Beliebte Wörter in Bescheiden sind »sofern« und »soweit«.
Mit ihnen verlagert der Verfasser Entscheidungen auf den Empfänger – soll der doch sehen, wie er damit klar kommt.
Anfallendes Niederschlagswasser muss über eine Vegetationsfläche versickern, sofern es nicht der öffentlichen Kanalisation zugeführt werden muss.
aus einem Bauaufsichtsbescheid
Anstatt bei der Bearbeitung des Einzelfalls selbst zu prüfen, ob ein Anschlusszwang an die öffentliche Kanalisation vorliegt, macht es sich der Behördenmitarbeiter leicht und setzt eine bedingte Auflage in den Bescheid. Der Bürger muss sich nun erst schlau machen, ob die Bedingung auf ihn zutrifft, obwohl diese Prüfung dem Bearbeiter leichter gefallen wäre.
»Öffentlicher Dienst« ist eine durch Steuern finanzierte Serviceleistung!
Das vergessen vor allem Mitarbeiter in Ordnungsbehörden gern.
Ein besonders auffälliges Merkmal ist das Erschaffen »eindrucksvoller« Wörter, um ihnen mehr Gewicht zu verleihen. Es wird nicht einfach nur gemahnt, es wird angemahnt oder abgemahnt; die Vorsilben sind völlig inhaltsleer, das damit verzierte Wort bekommt jedoch einen wichtigeren Beiklang. Gerade im Fall der Abmahnung geht es sogar so weit, dass dieses Wort zu einem besonderen Fachterminus des juristischen Codes avanciert ist, der (juristisch) etwas anderes bedeutet als sein Wortstamm Mahnung. In den meisten Fällen der ab- und an-Verwendung ist die Vorsilbe jedoch ohne Bedeutungsänderung problemlos entbehrlich, z.B. abändern, anmieten. Gleiches gilt auch in vielen Fällen für be- und ver-.
Eine andere Form der Bestärkung eines Wortes wird gern benutzt, indem einem Wort ein weiteres, bedeutungsgleiches beigefügt wird. Fachleute sprechen in diesen Fällen von einem Pleonasmus oder von einer Tautologie. Der Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass beim Pleonasmus (vom griechischen »überflüssig«) einem Substantiv ein Attribut beigefügt wird, das dem Substantiv jedoch keine neue Eigenschaft verleiht, denn das Substantiv steht bereits für eine bestimmte Eigenschaft, z.B. »weißer Schimmel«. Das Attribut »weiß« ist entbehrlich, denn ein Schimmel ist nun mal weiß, es bedarf dieser Betonung nicht. Die Tautologie (griechisch/römisch für »dasselbe«) dagegen reiht zwei gleichbedeutende, gleichwertige Wörter aneinander, z. B. »immer und ewig«, »nackt und bloß«.
Oft in der Verwaltungssprache auftretende Tautologien und Pleonasmen sind:
auseinander dividieren, zusammen addieren, einsparen, herabmindern, mit einbeziehen, Rückantwort, schlussfolgern, alternative Möglichkeiten.
Häufig werden Tautologien aus Unwissenheit benutzt, besonders im Zusammenhang mit Fremdwörtern. Da die tatsächliche Bedeutung eines Fremdwortes nur ungenau bekannt sind, wird ein deutsches Wort mit ihm verbunden und so eine ungewollte Doppelung erzielt. Klassische Beispiele dafür sind aufoktroyieren, Pulsschlag, Guerillakrieg und Pegelstand. Ein ähnliches Phänomen erleben wir, wenn der langtextliche Sinn einer Abkürzung »verloren gegangen« ist, wie bei ABM-Maßnahme, IT-Technik.
Ein sehr spezifisches semantisches Phänomen der Amtssprache ist die unübliche Verwendung von Verneinungen. Hier wird häufig „um die Ecke formuliert“, also durch doppelte Verneinung eine Bestätigung ausgesprochen oder zum Satzbeginn eine positive Aussage suggeriert, die am Schluss verspätet negiert wird. In diesen Fällen ist auf jeden Fall Klarheit geboten, indem die beiden Teilaussagen zusammengefasst und in einer Formulierung deutlich gemacht wird, ob die Aussage positiv oder negativ gemeint ist. Eine dritte Variante ist die unnötige Verneinung, bei der ein positiver Begriff mit „nicht“ kombiniert wird, obwohl es ein passendes Negativ-Pendant gibt.
Ein paar Beispiele:
Hier toppt das BGB alles, in § 118 wird fünfmal negiert:
Eine 1nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der 2Mangel an Ernstlichkeit werde 3nicht 4verkannt werden, ist 5nichtig.
Gemeint ist:
Offensichtlicher Unfug ist keine Vertragsgrundlage.
Aber das war den Schöpfern des BGB wahrscheinlich zu prosaisch.
Auch diese Frage in einem Bürgerentscheid des Bezirksamts Lichtenberg ist verwirrungstechnisch genial formuliert:
»Stimmen Sie für das Ersuchen an das Bezirksamt, in Abänderung der bisherigen Beschlusslage, das eingeleitete Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans 11–43 nicht fortzuführen, durch welches die Ansiedlung eines Warenhauses an der Landsberger Allee 360/362 verhindert wird?«
Statt derart um die Ecke zu fragen, wäre:
»Sind Sie dafür, dass an der Landsberger Allee 360/362 ein Warenhaus errichtet werden soll?«
jedem Abstimmungsberechtigten sofort klar gewesen. Aber hier war ja gar keine Klarheit gewollt, denn das Bezirksamt hätte das Warenhaus gern dort gehabt. »Der Bürger« trat hier als Störfaktor in Erscheinung.
Die Benutzung eines falschen Wortes kann sogar ehrenrührig sein:
In der Strafsache gegen … hat das Gericht nunmehr festgestellt, dass Sie nicht der zutreffende Angeklagte sind. Der Fehler ist durch eine Namensverwechselung beim Amtgericht Leer zum Aktenzeichen … entstanden, wo Sie wegen Unterhaltspflichtverletzung angeklagt waren.
aus einem Einstellungsbescheid des Amtsgerichts Oldenburg (Oldb)
»nicht der zutreffende Angeklagte« impliziert, dass der Adressat sehr wohl ein Angeklagter sei, nur eben nicht der in diesem Verfahren richtige. Dabei hatte sich der Empfänger des Schreibens überhaupt nichts zu Schulden kommen lassen, sondern war Opfer einer Namensgleichheit geworden. Er war also im Gerichtsjargon ein »fälschlich Angeklagter«. Auch der Folgesatz, mit dem das AG Oldenburg eine eventuelle Schuld an das AG Leer verweist, enthält diesen falschen Vorwurf, denn auch dort war die Anklage fälschlich erhoben worden. Außerdem war beim AG Leer bei Abgabe der Akte der Irrtum bereits dokumentiert gewesen.
Korrekt wäre:
In der Strafsache gegen … wurde auf Grund Ihrer Darlegungen festgestellt, dass Sie nicht der Zahlungspflichtige sind. Wir bitten Sie, das Versehen zu entschuldigen.
Diese Kritik hat mir Vorwürfe aus Juristenkreisen eingebracht: Die Bezeichnung »Angeklagter« sei überhaupt nicht ehrenrührig, denn als gerichtlicher Terminus wäre sie wertfrei.
Das wird von der Mehrheit der Bevölkerung anders gesehen, wie ich durch die regelmäßige Verwendung dieses Beispiels in meinen Kursen immer wieder bestätigt bekommen habe. (Die Teilnehmer waren überwiegend Verwaltungsmitarbeiter!)
Der juristische Standpunkt in dieser Sache zeigt also genau das, was immer wieder bemängelt werden muss: Missverständnisse beruhen immer auf fehlender Zielgruppenorientierung des Absenders. Nicht das Verständnis des Absenders ist maßgeblich, sondern das des Empfängers.
Weiterhin erläuterte mir ein Jurist, es sei für die Dokumentation erforderlich, in den Schriftstücken die Parteienbezeichnungen zu verwenden, weil es beim Lesen schwierig ist, die Namen den Parteien zuzuordnen. Zugegeben, dieses Argument ist stichhaltig, doch lediglich unter dem Gesichtspunkt der Dokumentation. Vorrangig ist aber, dass die Empfänger verstehen, was gemeint ist; es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, den Redakteuren der NJW die Arbeit abzunehmen!
Es muss nicht unbedingt der falsche Gebrauch eines Wortes sein. Es ist auch möglich, innerhalb einer Aussage Paradoxe auszulösen:
Ihr Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wird abgelehnt. Die Befreiung von der Versicherungspflicht ist u. a. nur möglich, wenn Sie am 31.12.1998 eine nach § 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder § 229a Abs. 1 SGB VI versicherungspflichtige selbständige Tätigkeit ausgeübt haben. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Sie haben am 31.12.1998 keine von der Versicherungspflicht erfasste Tätigkeit ausgeübt. Ein Befreiungsantrag war daher nicht erforderlich.
vorgedruckter Text in einem Bescheid der BfA
Kritisch zu betrachten sind die beiden unterstrichenen Aussagen: »nicht erforderlich« im Kontext mit dem Eingangssatz »wird abgelehnt« verwirrt den Empfänger total. Der Antrag wird abgelehnt, war aber gar nicht erforderlich. Heißt das nun, dass nur der Antrag formal abgelehnt wird und aus seinem Nichterfordernis auf das Nichtbestehen einer Versicherungspflicht geschlossen werden kann? In dem Bescheid ist keine Aussage für die Versicherungspflicht enthalten. Besteht also vielleicht doch für die Zukunft eine Versicherungspflicht, weil die Voraussetzungen für die Befreiung nicht anerkannt werden?
Gemeint war die erste Variante. Die Wortwahl führt jedoch zur Nachfrage oder zur Einlegung eines Rechtsmittels. Diese Zweifel und den zusätzlichen Arbeitsaufwand hätte man in etwa so vermeiden können:
Ihr Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ist nicht erforderlich, weil Sie keine versicherungspflichtige selbstständige Tätigkeit nach § 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder § 229a Abs. 1 SGB VI ausüben.
Derartige Fehler lassen sich im Alltagsgeschäft nicht immer vermeiden und sind deshalb entschuldbar. Bei den hier aufgeführten Beispielen handelt es sich jedoch nicht um Texte aus Individualschreiben, sondern um vorgedruckte Textbausteine! Hier kann sich niemand damit herausreden, dass eine Formulierung »durchgerutscht« sei. Zur Gestaltung von Vordrucken und Formulierung von Textbausteinen steht immer genügend Zeit zur Verfügung und daran sind meist mehrere Personen beteiligt.
Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass für diesen Fall keine geeigneten Formulare existierten und deshalb diese in etwa passende Fassung verwendet wird.
Ein kurzes, frei formuliertes Schreiben hätte es doch auch getan. Soviel Mehraufwand wäre das wirklich nicht gewesen.
Häufig ist es zur Aufgabenerfüllung notwendig, über die Staatsangehörigkeit des Verwaltungskunden informiert zu sein. In einschlägigen Fragebogen taucht dann häufig ein Feld mit der Beschriftung »Nationalität« auf. Doch halt! Sind Nationalität und Staatsangehörigkeit denn wirklich Synonyme?
Der Begriff der Nationalität ist in seiner Auslegung sehr umstritten. Je nach politischer Interessenlage wird er entweder auf ethnische Zusammengehörigkeit bezogen oder auf das Gemeinwesen eines Staates. So legen zum Beispiel die Schweizer großen Wert darauf, dass die Schweiz eine Nation ist, ungeachtet der gerade dort besonders deutlich erkennbaren ethnischen Unterschiede. Anderswo heben ethnische Minderheiten gern hervor, dass sie eine eigene Nation seien. Deshalb sollten Sie sicherheitshalber immer das unverfänglichere und eindeutige Wort »Staatsangehörigkeit« verwenden!
Hier in Deutschland könnte z.B. ein Sorbe bei der Frage nach der Nationalität völlig korrekt »sorbisch«1 eintragen. Da es aber in den meisten amtlichen Fragebogen auf die Staatsangehörigkeit ankommt, muss auch korrekt nach ihr gefragt werden.
1 Diskussionsbeitrag zu diesem Thema: »… und irgend ein unwissender Beamter westlich der Elbe wird diesen Eintrag für einen Schreibfehler halten und daraus serbisch machen.«
Amtssprache zeichnet sich aus durch
Die in Behördenbescheiden verwendete Sprache ist detailverliebt und weitschweifig. Um nur keine gerichtsrelevante Kleinigkeit zu übersehen, werden völlig klare und oft auch unstrittige Tatbestände in jedem Schriftstück wiederholt, häufig genug neu formuliert und damit nicht selten kolportiert. Dieser Ausfluss aus dem Exkulpationsdruck, dem der einzelne öffentliche Bedienstete permanent ausgesetzt ist, wird aber vom Empfänger gar nicht so gesehen, sondern eher als Schikane aufgefasst.
Verstärkt wird die Unverständlichkeit durch die Eigenheiten des in die Bescheidsprache überschwappenden juristischen Soziolekts. Die Verfasser amtlicher Schreiben sind einer eigenen Denkweise verhaftet, die sich grundlegend vom allgemeinen Umgang miteinander unterscheidet. Dabei müssen nicht einmal obrigkeitliche Gründe für dieses Verhalten vorliegen, meist ist es »nur« eine Art von spezifischer Betriebsblindheit, die den Blick für die Belange des Bürgers beeinträchtigen.
Am 21.10.2015 beschloss das Bundeskabinett die »Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk (Zweite Steinmetzarbeitsbedingungenverordnung – 2. SteinmetzArbbV)« und lieferte damit ein weiteres Beispiel für das Verstecken des eigentlichen Sachverhalts in formalem Geschwurbel.
Die für die eigentliche Regelungsdarstellung entbehrlichen Textteile sind hier zur Verdeutlichung durchgestrichen.
»Auf Grund des § 7 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit Absatz 4 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, dessen Absätze 1 und 4 durch Artikel 6 Nummer 6 Buchstabe b und c des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden sind, verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nachdem es den in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallenden Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, den Parteien des Tarifvertrags nach § 1 Satz 1 dieser Verordnung, den Parteien von Tarifverträgen in der Branche mit zumindest teilweise demselben fachlichen Geltungsbereich sowie den paritätisch besetzten Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber zumindest teilweise im Geltungsbereich dieser Rechtsverordnung festlegen, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben hat:
Die in der Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung eines Mindestlohns im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk vom 11. Februar 2015, abgeschlossen zwischen dem Bundesverband Deutscher Steinmetze/Bundesinnungsverband des Deutschen Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks, Weißkirchener Weg 16, 60439 Frankfurt am Main, einerseits, sowie die Industriegewerkschaft Bauen – Agrar – Umwelt, Bundesvorstand, Olof-Palme-Straße 19, 60439 Frankfurt am Main, andererseits, finden auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Anwendung, die unter seinen am 1. November 2015 gültigen Geltungsbereich fallen, wenn der Betrieb oder die selbstständige Betriebsabteilung im Sinne des fachlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbringt. Die Rechtsnormen des Tarifvertrags gelten auch für Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinen im Geltungsbereich dieser Verordnung beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Wird ein Leiharbeitnehmer oder eine Leiharbeitnehmerin von einem Entleiher mit Tätigkeiten beschäftigt, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, so hat der Verleiher ihm oder ihr nach § 8 Absatz 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) zumindest die nach dieser Verordnung vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren; dies gilt auch dann, wenn der Betrieb des Entleihers nicht in den fachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt.«
Das gesamte Drumherum bis hin zu Adressen von beteiligten Verbänden ist für die Aussage völlig irrelevant. (Wird die Verordnung eigentlich obsolet, wenn der Bundesverband Deutscher Steinmetze/Bundesinnungsverband des Deutschen Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerks umzieht?)
Dass sich die eigentliche Aussage noch verständlicher gestalten ließe, ist auch klar, denn wenn eine Vorschrift für alle … Arbeitnehmer gilt, bedarf es nicht noch der zusätzlichen Vereinnahmung jener, die für ausländische Arbeitgeber tätig sind. »Alle« umfasst nun mal alle! Die damit weiteren 85 überflüssigen Wörter reduzieren den wirklich normierenden Teil der Vorschrift auf 40 % des gesamten Textes. Der Rest gehört bestenfalls in eine Protokollnotiz.
Nicht nur Ämter, auch »die Wirtschaft« und vor allem Presseerzeugnisse verwenden Floskeln, die den Text aufblähen, um ihm mehr »Bedeutung« zu verschaffen, ohne zur Information beizutragen. Manchmal können sie auch missinterpretiert werden.
Beispiele:
Eine gefährliche Floskel ist der typische Abschlusssatz in Mahnschreiben:
Sollten Sie in der Zwischenzeit [gezahlt | geantwortet | sonstwas gefordertes getan] haben, betrachten Sie dieses Schreiben bitte als gegenstandslos.
Bei der ersten Erinnerung mag der Satz ja noch halbwegs berechtigt sein, weil zwischen Verzugsmeldung der Kasse und Abgang des Schreibens häufig mehrere Wochen liegen.
Spätestens bei der zweiten Erinnerung ist der Satz absurd!
Was kann der Absender daraus schließen, wenn sich der Empfänger nicht meldet? Nichts!
Möglichkeit 1: Der Empfänger hat schon [gezahlt | geantwortet | sonstwas getan], dann ist beim Empfänger irgendetwas schief gelaufen, es muss also intern etwas unternommen werden, um die Antwort /Buchung zu finden.
Möglichkeit 2: Der Empfänger ist weiter unwillig, dann ist die Fortsetzung des Mahnverfahrens sinnvoll.
Der Standard-Ablauf ist der, Möglichkeit 1 auszuschließen und das Verfahren fortzusetzen. Dabei hat der Empfänger doch im Fall von Möglichkeit 1 genau das getan, was ihm aufgetragen wurde.
Die Justizkasse Berlin unterhält eine Nachforschungsstelle, was den Schluss nahelegt, dass unanbringbare Zahlungen nicht selten vorkommen. Kein Wunder angesichts
Anstatt aber die unanbringbaren Zahlungen anhand der erkennbaren Daten zuzuordnen, wartet die Nachforschungsstelle ab, dass der Schuldner einen Beleg einsendet. Auf diese Idee kommt der aber überhaupt nicht, den er hat ja gezahlt und soll sich deshalb nicht melden.
Haben Sie die Tätigkeit regelmäßig weniger als 15 Stunden wöchentlich ausgeübt?
Zeitraum vom – bis /seit
O nein O ja ___________________________________________
Lag Ihr regelmäßiges monatliches Einkommen (Gewinn) innerhalb der Einkommensgrenzen für die Geringfügigkeit?
Zeitraum vom – bis /seit
O nein O ja ___________________________________________
aus einem Fragebogen der BfA #6.1775
In beiden Fragen taucht das Wort »regelmäßig« auf. Was heißt eigentlich »regelmäßig«? Einer Regel gehorchend, das ist sehr weitläufig und interpretationsfreudig.
In der ersten Frage kann es bedeuten, jeden Monat eine Woche, ansonsten mehr – das wäre durchaus »regelmäßig«. Gemeint ist es aber hier wohl eher im Sinne von »gleichbleibend«, »durchschnittlich« oder »durchgängig«. Nur: Warum fragt man dann nicht entsprechend, sondern verwendet das schwammige Wort »regelmäßig«?
In der zweiten Frage kommt bei der Interpretation von »regelmäßig« ein anderer Aspekt zum Tragen. Wie ist die Frage zu beantworten, wenn der Antragsteller kein regelmäßiges (im oben genannten Sinn) Einkommen hatte, sondern nur ein sporadisches und dann auch noch in der Höhe schwankend? Das ist keine akademische Spitzfindigkeit, sondern bei den für diesen Vordruck einschlägigen Berufsgruppen (Volkshochschullehrer, freie Trainer etc.) völlig normal. Es liegt dann kein regelmäßiges Einkommen vor, von einer regelmäßigen Höhe ganz zu schweigen. Die Antwort lautet also folgerichtig »nein«, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist, denn in den meisten der genannten Fälle liegt das Jahresdurchschnittseinkommen unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze.
Gekrönt wird die Fragestellung in beiden Fällen von der Terminfrage bei positiver Antwort. Wenn schon »regelmäßig« im genannten Sinne, dann kann es wohl nicht befristet gewesen sein.
Beide Fragen samt Terminabfrage wären in sich logisch und weniger missverständlich, wenn man einfach auf das Wort »regelmäßig« verzichtete.
Auch andere Wörter mit der Endung »-mäßig« trifft man häufig sinnfrei als Füllsel an einschlägigen Schriftstücken an (z. B. übermäßig, verhältnismäßig etc.) was mich zu einer Empfehlung verleitet. ⇒
Diese Anleitung ist zwar Satire, doch in ihr steckt offensichtlich beim Vergleich mit Schriftstücken von Anwälten, Gerichten und Behörden weit mehr als nur ein Körnchen Wahrheit.
Ausgangspunkt: Nehmen Sie einen ganz normalen Satz.
Vielen Dank für Ihrem Brief; wir beantworten Ihre Fragen, sobald wir mit Herrn Müller darüber gesprochen haben.
Lektion 1: Reichern Sie den Satz mit Substantiven an. Ersetzen Sie einfach alle Verben durch Hauptwörter oder Streckverben. Und vergessen Sie nicht, die Substantive mit der Endung »-ung« aufzublähen.
Vielen Dank für Ihren Brief; wir kommen in Beantwortung Ihrer Fragen auf Sie zurück, sobald wir Rücksprache mit Herrn Müller gehalten haben.
Lektion 2: Anonymisieren Sie (zur Wahrung des Amtsgeheimnisses und Datenschutzes) den Text.
Vielen Dank für das vorgenannte Schreiben; die Unterfertigten kommen in Beantwortung der darin aufgeworfenen Fragen auf die Petenten zurück, sobald sie Rücksprache mit dem Mandanten gehalten haben.
Lektion 3: Übertragen Sie alles ins Passiv.
Für das vorgenannte Schreiben möchten wir uns bedanken; die Unterfertigten werden in Beantwortung der darin aufgeworfenen Fragen auf die Petenten zurückkommen, sobald ihrerseits Rücksprache mit dem Mandanten gehalten werden konnte.
Lektion 4: Würzen Sie Ihre Arbeit mit unnötigen Adjektiven und Partizipien.
Bezugnehmend auf das vorgenannte Schreiben möchten wir uns bedanken; die Unterfertigten werden ins alsbaldiger Beantwortung der darin aufgeworfenen interessanten Fragen der Petenten umgehend auf diese zurückkommen, sobald unsererseits die unverzichtbare Rücksprache mit dem derzeit abwesenden Mandanten gehalten werden konnte.
Lektion 5: Wenden Sie abschließend unbedingt noch einmal Lektion 1 an.
Bezugnehmend auf das vorgenannte Schreiben möchten wir unseren Dank aussprechen; die Unterfertigten werden in alsbaldiger Erledigung zur Beantwortung der darin aufgeworfenen interessanten Fragen der Petenten umgehend auf diese Bezug nehmen, sobald unsererseits die unverzichtbare Rücksprache mit dem derzeit auf einer Reise befindlichen Mandanten gehalten werden konnte.
Kurt Tucholsky hat viele kritische Texte geschrieben, und einer davon passt wunderbar zu diesem Thema. (Es gibt ihn in minimal angepasster Form auch für langweilige Vorträge. Eigentlich ist darin nur »schreiben« durch »erzählen« ersetzt, was die innige Verbindung zwischen Korrespondenz und Präsentation bestätigt.)
Amtliche Schreiben zeichnen sich häufig aus durch
Behörden- und Gerichtsschreiben sind meist unansehnlich, schlecht gestaltet, ungegliedert – kurz: Es macht (abgesehen vom evtl. negativen Inhalt und schlechten Stil) keine Freude, sie zu lesen. Ergänzt wird dieser negative Eindruck durch mangelhafte Rechtschreibung und Grammatik (letztere nicht nur in Auswirkung des schlechten Stils), sowie durch vermeidbare Tippfehler.
Weiterhin ist in solchen Schreiben ein gewisser Hang zur Unhöflichkeit zu erkennen, zum einen durch häufiges Fehlen einer Anrede und einer Unterschrift, zum anderen durch Tippfehler im Namen des Adressaten. (Zum Leid des ewig falsch geschriebenen Namens finden Sie am Schluss der Beispiele eine persönliche Anekdote.)
Leider reicht auch die verordnete Höflichkeit häufig noch nicht aus, denn es scheint ein Sport gerade bei Verfahrensentwicklern zu sein, die bearbeitende Stelle möglichst unhöflich erscheinen zu lassen. So beginnen die meisten Behördenschreiben zwar mit einer Anrede, doch kann man Absurditäten wie … →
und ähnliche wirklich als Anrede werten?
Sehr geehrter Steuerbürger …
Sehr geehrter Verkehrsteilnehmer …
Sehr geehrter Wohnungsinhaber …
Hat es sich da nicht jemand bei der Entwicklung von Computerverfahren oder Vordrucken zu einfach gemacht? Gerade bei Computerbescheiden ist diese Form mehr als peinlich, denn sie dient ja nicht einmal der Arbeitserleichterung. Der Computer kann für die Anschrift problemlos den Namen des Empfängers aus dem Datensatz ziehen und korrekt ins Anschriftenfeld schreiben, aber für die Wiederholung in der Anrede sollen seine Fähigkeiten angeblich nicht reichen. Die Unfähigkeit liegt hier unzweifelhaft beim Entwickler!
Auch am Ende des Schreibens lässt die Höflichkeit manchmal zu wünschen übrig. Schreiben ohne abschließende Grußformel sind ein Affront. Zum Glück hat sich hier schon viel geändert, selbst bei Gerichten, doch hat man dort versäumt, die zugehörigen Formulierungen einer kritischen Syntaxanalyse zu unterziehen. Eine Grußformel der Art
Mit freundlichen Grüßen
Auf Anordnung
klingt jedenfalls nicht nach Verinnerlichung des Dienstleistungsgedankens und »nicht wirklich« höflich. Was mögen das nur für Leute sein, denen man Freundlichkeit anordnen muss?
Natürlich rührt dieser Eindruck aus der falschen Auslegung: Nicht die freundlichen Grüße wurden angeordnet, sondern die Fertigung und Absendung des gesamten Schreibens. Bei einer Schlussformel mit »Im Auftrag« wäre das auch gar nicht auffällig, denn jeder weiß, dass dieses »Im Auftrag« die im Geschäftsleben übliche Schlussformel für ein Schreiben ist, das nicht von einem Mitglied der Firmen-/Behördenleitung unterschrieben wird. »Auf Anordnung« ist dafür jedoch untypisch, eine absolut gerichtsspezifische Floskel, die außerhalb der Judikative nicht verwendet wird. Was hindert die Gerichte eigentlich daran, von diesem Kasernenhofton abzugehen und sich endlich dem im Geschäftsleben üblichen »Im Auftrag« anzuschließen?
Zur fehlenden Unterschrift berufen sich Behörden gern auf eine Regelung des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Dort heißt es in § 37:
(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. …
(5) Bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen.
Sodann ist noch die erweiterte Auslegung des § 37 (5) VwVfG zu nennen, wonach, wenn schon die Unterschrift nicht erforderlich ist, auch die Grußformel und am besten auch noch die Anrede entfallen können.
Beides ist a.a.O. nicht genannt und gehört auch bei automatisierten Schreiben unbedingt dazu.
Seltsamerweise müssen solche Selbstverständlichkeiten, auch »Umgangsformen« manchen Leuten per Verwaltungsvorschrift (§ 49 Abs. 4 Satz 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung – Allgemeiner Teil – GGO I von 2011) beigebracht werden:
Im Schriftverkehr mit Bürgern und Stellen außerhalb der Verwaltung sind grundsätzlich auch in Serienbriefen Anrede und Grußformel zu verwenden.
Es ist schon verblüffend: Obwohl allen Menschen bekannt ist, dass es unterschiedliche Ausdrucksformen und unterschiedliche Methoden der Beschreibung gibt, benutzen gerade die Autoren von Rechtsquellen ausschließlich die verbale Darstellung, um einen Sachverhalt zu beschreiben. Darin sind sie konsequent bis stur, selbst wenn die Beschreibungsform absolut ungeeignet ist. Speziell die Steuergesetze ergehen sich in umständlichen Satzkonstruktionen, die nichts anderes enthalten als Berechnungsgrundlagen.
Die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die anzurechnenden ausländischen Steuern und die Steuerermäßigungen, vermehrt um die Steuer nach § 32d Absatz 3 und 4, die Steuer nach §34c Absatz 5 und den Zuschlag nach § 3 Absatz 4 Satz 2 des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1985 (BGBl. I S. 1756), das zuletzt durch Artikel 18 des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, ist die festzusetzende Einkommensteuer. Wurde der Gesamtbetrag der Einkünfte in den Fällen des § 10a Absatz 2 um Sonderausgaben nach § 10a Absatz 1 gemindert, ist für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer der Anspruch auf Zulage nach Abschnitt XI der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen; bei der Ermittlung der dem Steuerpflichtigen zustehenden Zulage bleibt die Erhöhung der Grundzulage nach § 84 Satz 2 außer Betracht. Wirddas Einkommen in den Fällen des § 31 um die Freibeträge nach § 32 Absatz 6 gemindert, ist der Anspruch auf Kindergeld nach Abschnitt X der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen.
§ 2 Abs. 6 EStG 2014
Zum Berechnen gibt es aber zwei wesentlich geeignetere Darstellungsformen: die Formel und die Tabelle. Formeln sind für viele Menschen schwer zu verstehen, deshalb ist die Berechnungstabelle der probate Weg.
tarifliche Einkommensteuer
- anzurechnende ausländische Steuern
- Steuerermäßigungen
+ Steuer nach § 32d Absatz 3 und 4
+ Steuer nach §34c Absatz 5
+ Zuschlag nach § 3 Absatz 4 Satz 2 des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes
= festzusetzende Einkommensteuer
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Das Perverse daran ist auch, dass für die Bearbeitung der verbal im Gesetz beschriebene Berechnungsweg ohnehin in eine Tabellenform überführt werden muss. Warum dann nicht gleich eine Tabelle?
Einen exklusiven Namen zu tragen, hat einen großen Nachteil: Dauernd wird er falsch geschrieben. Das fehlende zweite »t« ist dabei noch die einfachste Form der Verhunzung; ich habe bis zum »Ertl« schon alle Varianten erlebt.
(Ich glaube, Werthers Depressionen rührten auch von dauernden Fehlschreibungen seines Namens her, das hat uns Goethe – auch so ein falschschreibträchtiger Name – nur verschwiegen.)
Das mag ja auch alles angehen, solange es nicht amtliche Stellen sind, die meinen Namen falsch schreiben. Bei eingehenden Schreiben sind sie pingelig wie sonstwas, dass auch alles korrekt ist (fast hätte ich hier »Korinthenkacker« geschrieben), aber was das Haus verlässt, kann ruhig vor Fehlern strotzen.
Also zur Sache:
Ich war mal vor Gericht geladen – im doppelten Sinne: Welcher Hafer sticht diese Leute eigentlich, ständig die Vorsilbe »Ein-« bei der Ladung wegzulassen? Eine permanente Unhöflichkeit gegenüber dem Bürger! Und ich war auch geladen, weil mal wieder das zweite »t« fehlte!
Vor meiner Aussage dann die übliche Frage der Richterin: »Sind Sie Herr Burkhard Oerttel?«
Ich: »Kommt drauf an.«
Richterin: »Wie meinen Sie das jetzt, bitte?«
Ich: »Wenn Sie auf der Schreibweise meines Namens in der Ladung bestehen, bin ich es nicht.«
Richterin, an den Protokollführer gewandt: »Wie steht er denn in der Akte?«
Protokollführer: »O‑e-r-t-t-e‑l«
Ich: »So ist’s korrekt. Warum schreiben Sie ihn dann in der Ladung falsch?«
Richterin und Protokollführer guckten mich mit einem Gesichtsausdruck an, der besagte: »Was bist’n du für’n Arsch?«
Zur Klarstellung: Ich bin keineswegs ein Pedant, im Gegenteil, ich lass gern mal Fünfe gerade sein, aber wenn hauptamtliche Pedanten schludern, speziell solche, die selbst besonders pedantisch sind, dann hau ich bei passender Gelegenheit zurück.
In der Verhandlung ging es übrigens lt. Ladung um einen Unfall in der Maurenallee in Berlin. Wie, Sie haben von dieser Straße noch nie gehört? Kein Wunder, gibt es in ganz Berlin nicht, weshalb ich mir eine zweite flapsige Bemerkung nicht verkneifen konnte: Ich sei nie in meinem Leben in der Maurenallee gewesen und wisse gar nicht, wo die denn wäre. Die Richterin wies dann darauf hin, dass es um die Masurenalle gehe, worauf ich mit einem »Achso!« und Wedeln mit meiner Ladung reagierte.
Darum dieser wichtige Rat:
Achten Sie auf korrekte Schreibweise aller Daten!
Der Formfehler ist der größte Feind der Ordnungsverwaltungen und Gerichte.