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Was man weiß; was man wissen sollte.

Veröffentlicht am 16.08.2014

Im Bewusstsein, dass der Empfänger evtl. Informationsdefizite hat, wird ihm die notwendige Information zwar gegeben, jedoch in einer eigenwilligen Form: Dem Empfänger wird bei der Erteilung der Information unterstellt, über dieses Wissen bereits verfügen zu müssen. Sehr beliebt sind Formulierungen der Art »Wie Sie wissen, …«. Manchmal wird diese Unterstellung noch unterfüttert für nähere Erklärungen, woher der Empfänger etwas wissen müsste, zum Beispiel »aus der Tagespresse« oder noch verwegener in diesem Beispiel:

Wie Sie spätestens seit der Diskussion im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit wissen, unterliegen Sie mit Einkünften aus Ihrer Tätigkeit als freier Mitarbeiter/Honorarkraft grundsätzlich der Rentenversicherungspflicht.

Eröffnungssatz aus einem Schreiben der Verwaltungsakademie Berlin an freiberufliche Dozenten

Gar nichts muss der Empfänger wissen! Das Behördenschreiben soll ihn über einen Sach- oder Rechtsverhalt aufklären. Wüsste er darüber schon Bescheid, bedürfte es dieses Schreibens ja wohl nicht. Und dann noch dieser Vorwurf »spätestens« – als hätte man etwas ohnehin schon wissen müssen, aber nun erst recht!

Was ist der Hintergrund solcher Formulierungen? Der Empfänger soll in die Defensive gedrängt werden. Zwischen den Zeilen steht: »Du nachlässiger Bürger hast dich schlecht informiert, aber ich, dein Amt, werde dir schon auf die Sprünge helfen!« Damit werden beim Empfänger unterschiedliche Reaktionen ausgelöst: Entweder duckt er sich, weil er sich in seiner (von der Behörde unterstellten) Nachlässigkeit ertappt fühlt, oder er muckt auf, weil er gar nicht einsieht, dass er sich hätte informieren müssen, weil ihm der Bezug auf seine Person überhaupt nicht bekannt war.

Beide Reaktionen sind aber nicht erwünscht; eigentlich wollen wir ja die Kooperation des Bürgers. Darum muss auf derartige provokante Belehrungen verzichtet werden. Belehren ja, aber nicht mit unterschwelliger Schuldzuweisung. Das obige Beispiel könnte also lauten:

Auf Grund des neu erlassenen Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit unterliegen Sie mit Einkünften aus Ihrer Tätigkeit als freier Mitarbeiter/Ho­no­rarkraft eventuell der Rentenversicherungspflicht.

Beachten Sie die Feinheit des Unterschiedes zwischen grundsätzlich und eventuell!


Was man weiß und was man wissen sollte, wird sogar im BGB geregelt:

(1) Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht.

(2) Hat im Falle einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht (Vollmacht) der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt, so kann sich dieser in Ansehung solcher Umstände, die er selbst kannte, nicht auf die Unkenntnis des Vertreters berufen. Dasselbe gilt von Umständen, die der Vollmachtgeber kennen musste, sofern das Kennenmüssen der Kenntnis gleichsteht.                  

 § 166 BGB

Moment mal, bitte! Wovon habe ich Kenntnis und wovon muss ich Kenntnis haben? Das Kennenmüssen (tolles Wort, steht weder im Duden noch im Wahrig) steht gemäß Absatz 2 der Kenntnis gleich. Wie soll das gehen? Wenn Kennenmüssen der Kenntnis gleichsteht, warum gibt es dann überhaupt noch einen Unterschied? Dann könnte man auf den Begriff des Kennenmüssens doch völlig verzichten, denn er ist wohl ein Synonym von Kenntnis. Halt – Trugschluss! Da steht ja »sofern«. Also stehen Kennt­nis und Kennenmüssen nicht immer gleich. Aber wann tun sie es und wann nicht? Darüber schweigt sich Gesetzgeber aus. Aus gutem Grund vermutlich, wenn man die Kategorisierung anwendet. Bei der Schaffung des Gesetzes wollte man wohl vorausschauend eine Generalexkulpation einbauen.

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